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Archiv-Artikel

Begeistertes Danebenstehen

Er selbst meint: „Als Mensch mache ich nicht viel her.“ Das stimmt aber gar nicht. Wolfgang Herrndorf kann großartig über Literaturkritiker schimpfen und fast noch besser Bücher schreiben. Ein Porträt

Beim Wettlesen in Klagenfurt lief es gut: Er bekam den PublikumspreisAls Broterwerb zeichnet er Buchumschläge – etwa für Frank Schulz

VON GERRIT BARTELS

Wolfgang Herrndorf gerät geradezu ins Schwärmen. Er schaut zuerst zwar leicht verdutzt und umfasst sein großes Spezi-Glas noch ein bisschen fester, als er die zugegeben schwierige Frage beantworten soll, wohin es mit seinem Schreiben in Zukunft gehe. Doch dann legt er los: „Ich möchte die Bücher schreiben, die ich selber gerne lese, im Grunde ist das Unterhaltungsliteratur. Ich lese gerade die Interviews mit Vladimir Nabokov, ich glaube ‚Strong Opinions‘ heißt das Buch, da sagt Nabokov einmal, gute Literatur erkenne man daran, dass es einem kalt den Rücken runterläuft. Genau so ist es, so muss es sein! Der ganze Mist, den Literaturkritiker schreiben, so Nabokov, den könne man vergessen, es komme nur darauf an, dass es einen erwischt, kalt erwischt. Genau, so ist das.“

Deutliche Worte, die Herrndorf da spricht, begeisterte Worte, die auch mit ein wenig Ingrimm versetzt sind. Ansonsten jedoch wirkt er an diesem späten Nachmittag im Café 103 in Prenzlauer Berg eher verhalten, abwartend und skeptisch. Nicht ohne Grund: Wolfgang Herrndorf macht nur ungern Aufhebens um seine Person, was sich auch darin zeigt, dass er sich für dieses Porträt nicht fotografieren lassen will. Vor allem aber misstraut er elektronischen Aufzeichnungen seiner Äußerungen. Schon in Klagenfurt, wo er beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preislesen an den Start ging, teilte er auf Anfrage mit, überhaupt nichts gegen ein Gespräch einzuwenden zu haben – nur ein Aufnahmegerät oder ein Mikro dürfe nicht dabei sein, da hätte er Angst, „zu viel Quatsch“ zu erzählen, der dann verbindlich nachzuprüfen sei.

Als er sich, zurück in Berlin, einverstanden erklärt, Rede und Antwort auch in Gegenwart eines Aufnahmegeräts zu stehen, und dabei gar keinen Quatsch erzählt, betont er trotzdem gleich zu Beginn noch einmal: „Der Grundgedanke eines Porträts leuchtet mir dann auch sofort nicht ein, als Mensch mache ich nicht viel her, das ist uninteressant.“ Eine Portion Koketterie schwingt in solchen Worten selbstverständlich mit, denn Herrndorf zeigt sich im folgenden als jemand, der durchaus gezielt Understatement zu betreiben weiß und sich sehr wohl bewusst ist, zumindest in seiner Eigenschaft als Schriftsteller zunehmend mehr herzumachen.

Mit seinem Debütroman „In Plüschgewittern“, einer Mischung aus Berlin- und spätem Poproman, machte Wolfgang Herrndorf vor zwei Jahren das erste Mal auf sich aufmerksam. Der Roman erzählt die traurige Geschichte eines orientierungslosen jungen Mannes, der seine Freundin verlassen und sein Studium in Nürnberg aufgegeben hat. Nach einem kurzen Ausflug zu seinem in Hamburg lebenden Bruder und dessen Familie fährt er unvermittelt nach Berlin, ohne zu wissen, was er in der Stadt eigentlich soll. In der Tradition von Popromanen wie Krachts „Faserland“ oder Stuckrad-Barres „Soloalbum“ stehend, war dieses Debüt „nicht unbedingt neu und originell“, wie Herrndorf zugibt. Doch hatte das völlige Danebenliegen seiner Figuren viel Eigenes, zeichneten sie sich doch weniger durch Zynismus und Durchblickertum aus als vielmehr durch Melancholie und Verzweiflung. Zudem gab es in „In Plüschgewittern“ ein Berlin abseits der üblichen Kulissen, ein Berlin, das zwischen den Szenen des Bötzowviertels und der Torstraße alles andere als einen Sehnsuchtsort darstellt.

Der Roman wurde nach Erscheinen zumeist freundlich rezensiert, ohne dass daraus größere Verkaufszahlen resultierten oder sich Wolfgang Herrndorf im Literaturbetrieb einen besonderen Namen gemacht hätte. Das änderte sich erst mit seinem Auftritt in Klagenfurt, wo er mit der Geschichte „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“ eine der großen Überraschungen war und lange Zeit als erster Anwärter auf einen der Jury-Preise galt. Die bekamen dann andere, Herrndorf aber erhielt den Publikumspreis – eine Bestätigung für seine Einschätzung, „eine Art Unterhaltungsschriftsteller“ zu sein, und auch für die zuweilen in Klagenfurt geäußerte Meinung, Herrndorf habe einen der gegenwärtigsten Texte beim diesjährigen Wettbewerb vorgelegt. In „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“ treffen sich ein Mittdreißiger und ein 13-jähriger Junge auf dem Balkon einer leer stehenden Wohnung eines Berliner Mietshauses. Sie haben sich zuerst nicht viel zu sagen: der Ich-Erzähler, ein ebenfalls sehr neben sich stehender Mensch, der eigentlich auf die Party seiner Freundin wollte, allerdings nicht einmal weiß, ob seine Freundin an diesem Tag ihren Geburtstag feiert; und der Junge, der von seinem Handballtraining und erstem Biertrinken erzählt. Dann aber verbeißen sie sich in ein Thema, in das der Mondlandungen. Der Ältere beraubt den Jüngeren aller Illusionen hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes, sieht aber später in der Enttäuschung des Jüngeren die eigene Illusionslosigkeit gespiegelt. Herrndorfs Geschichte ist poetisch und stimmungsvoll, sie besticht durch knappe, zuweilen sinnfreie Dialoge und einen maßvollen Irrwitz, der Lust weckt auf mehr solcher Geschichten.

Nun will Herrndorf gar nicht bestreiten, dass es für ihn in Klagenfurt gut lief und er im Anschluss Begehrlichkeiten bei Verlagen geweckt hat: „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“ ist Teil einer siebenteiligen Geschichtensammlung, die durch das Figurenpersonal miteinander verbunden ist. Sie soll vermutlich im nächsten Jahr erscheinen. Aber er ist vorsichtig, was seine Zukunft als Schriftsteller betrifft, nicht zuletzt weil er während seines Malerei-Studiums in den Neunzigerjahren in Nürnberg gewissermaßen aus Schaden klug geworden ist: „Eine Erkenntnis des Kunststudiums war, dass ich der Kunstgeschichte nichts Wesentliches mehr hinzuzufügen habe. Ich fand es immer deprimierend, wie großartig die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts gewesen war. Alles, was danach kommt, halte ich für Unsinn oder zumindest Lichtjahre davon entfernt.“

Trotz zunehmender Verdienstmöglichkeiten als Autor reicht es für den 1965 in Hamburg geborenen Herrndorf noch nicht, mit dem Malen und Zeichnen ganz aufzuhören. Seit seinem Umzug nach Berlin im Jahr 1996 verdient er sein Geld als Zeichner für die Titanic und als Umschlagsmaler für den Haffmans Verlag, selbst nach dessen Pleite im Jahr 2001: Gerd Haffmans ist jetzt beim Buchversand Zweitausendeins gelandet und verlegt hier unter dem Label „Gerd Haffmans bei Zweitausendeins“ seine Bücher, unter anderem auch „In Plüschgewittern“, das Herrndorfs Agent ausgerechnet hier unterbrachte. Wen interessiert, was Herrndorf so malt, der schaue sich einmal genauer die Buchumschläge der Romane von Frank Schulz an. Auch für den bald erscheinenden dritten Teil der Hagener Trilogie von Schulz ist er gerade wieder tätig.

Im Gespräch merkt man Wolfgang Herrndorf an, dass er emotional nicht mehr sehr an der Malerei interessiert ist, sie ihm allein als Broterwerb dient. Schneller und intensiver bei der Sache ist er, wenn es um die Rezeption von Büchern geht und die Missgriffe der Literaturkritik: „Kritiken, die mit einer Inhaltsangabe beginnen, lese ich grundsätzlich nicht. Oder wo am Setting herumgemäkelt wird, wie beim letzten Buch von Judith Herrmann, wo keine Kritik erschien, die nicht erst mal seitenlang das defizitäre Figurenpersonal auflistete. Das ist absolut unerheblich. Die Geschichten waren einfach Liebesgeschichten, und aus ganz anderen Gründen gescheitert.“

Kein Wunder, dass ihn auch in Klagenfurt, wo er mit viel Skepsis hingefahren war, weniger die Jury beeindruckt hat als das ausnehmend gute und kollegiale Miteinander der Autoren. Und das ungeachtet der Verwunderung über seine mitunter „elfenbeinern“ wirkenden, dann aber doch gut subventionierten Kollegen, die sich über die Vielzahl ihrer bisher erworbenen Literaturpreise austauschen. Doch Malerei hin, Literaturbetriebseigentümlichkeiten her: Auch Herrndorf nimmt es gern in Kauf, vor lauter Schreiben so manche andere Dinge des Lebens nur noch am Rande wahrzunehmen. „Wahnsinn“, entfährt es ihm plötzlich, als er gerade wieder einmal versucht, eine Wespe von sich fernzuhalten, „Ich habe auch in meiner Wohnung hunderte von Wespen. Haben wir gerade eine Wespenplage?“