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Archiv-Artikel

Gründungsboom bei türkischen Firmen

Türken gründen immer mehr mittelständische Unternehmen in Deutschland. Bis zu 16 Stunden Arbeit sind in den Dönerbuden, bei Friseuren und Bäckereien keine Seltenheit. TBB will Seminare zur Existenzgründung anbieten

BERLIN taz ■ Vom Reiseunternehmen Öger Tours bis hin zum kleinen Friseurladen um die Ecke – in Deutschland gibt es immer mehr türkischstämmige Mittelständler. Während rund 7 Prozent der in Deutschland lebenden Ausländer eine Firma gründen, sind es unter den Deutschen nur etwas mehr als 2 Prozent. „Die einstigen Zuwanderer tragen erheblich zur Wirtschaftsaktivität Deutschlands bei“, sagte der parlamentarische Staatssekretär und Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, Rezzo Schlauch, gestern in Berlin. Zu den über 40.000 türkischstämmigen Firmen in Deutschland – die etwa 300.000 Arbeitsplätze anbieten – kämen jährlich 4.000 hinzu.

Doch die gestern vorgestellten Zahlen verdecken die vielfältigen Probleme der ausländischen Unternehmer. „Fast jeder Zweite unter der türkischen Bevölkerung ist arbeitslos – das gibt vielen den Schub, eine eigene Firma zu eröffnen“, erklärte Achmet Ersöz vom Institut für vergleichende Sozialforschung in Berlin den Gründungsboom. Zwar verfüge eine kleine Gruppe über ein abgeschlossenes Studium oder eine Berufsausbildung und eröffne erfolgreiche Dienstleistungsunternehmen im IT-Bereich. Doch die Mehrheit sei wenig qualifiziert und habe wenig betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) haben 40 Prozent der unter 25-jährigen Zuwanderer keine Ausbildung. Unter den Deutschen liege die Quote bei 8 Prozent. „Um die Defizite auszugleichen, arbeiten sie in den kleinen Familienunternehmen wie Backshops, Kiosken und Imbissläden bis zu 16 Stunden am Tag. Da wird nicht auf die Uhr geguckt“, erklärte Ersöz. Oft seien die Erträge minimal.

Deshalb will beispielsweise der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) ab November die Jungunternehmer mit Seminaren zur Existenzgründung unterstützen. „Oft schätzen sie die Konkurrenz auf dem Markt falsch ein und haben Schwierigkeiten beim Umgang mit staatlichen Auflagen – das zerstört viele kleine ausländische Betriebe“, sagte Kenan Kolat vom TBB. Ein weiteres Problem: Aufgrund der hohen Zahl an kleinen Familienunternehmen würden laut Kolat „viel zu wenig Ausbildungsplätze“ angeboten. Laut DIHK bilden nur 6 Prozent der ausländischen Firmen Lehrlinge aus. Bei den deutschen Mittelständlern sind es 30 Prozent. Doch die Zukunft ausländischer Firmen schätzt Kolat positiv ein: „Die Zahl der ausländischen Dienstleister wird wachsen.“ ADALBERT SINIAWSKI