Bayern gruselt‘s vor der totalen CSU

Bei der Landtagswahl am Sonntag reichen schon 59 Prozent der Wählerstimmen für eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Edmund Stoibers CSU hat dann ungeahnte Möglichkeiten. Davor fürchten sich sogar viele Sympathisanten der Staatspartei

aus München JÖRG SCHALLENBERG

Vier Tage vor der Landtagswahl geht in Bayern ein Gespenst um. Aufgetaucht ist es urplötzlich, nachdem die jüngsten Meinungsumfragen bekannt wurden. Nach einem Wahlkampf ohne echte Auseinandersetzung setzt die Opposition jetzt voll auf die Schreckwirkung von 66 Prozent CSU. So hat die SPD im Freistaat ihre hoffnungslos optimistischen „Maget gewinnt“-Plakate rasch mit einem Schriftzug überklebt, der da lautet: „Schwarze Zweidrittel-Mehrheit verhindern!“ Dahinter steht das Kalkül, selbst CSU-Sympathisanten könnte vor so viel CSU gruseln.

Die CSU legt gegenüber 1998 mehr als acht Prozent zu und liegt mittlerweile bei über 60 Prozent, Tendenz steigend. Die SPD dagegen ist mit ihrem anscheinend bodenlosen Fall bei 20 Prozent angelangt (1998 waren es noch knapp 29 Prozent) – und der Daumen zeigt nach unten. Weil FDP und Freie Wähler zurzeit beide bei vier Prozent dümpeln, würden der CSU aber, so rechnete es zuletzt die ARD aus, schon 59 Prozent der Stimmen für die Zweidrittelmehrheit im Parlament reichen. Daran würden auch die erwarteten Gewinne der Grünen von sechs auf acht Prozent nichts ändern. Diese Konstellation scheint tatsächlich geisterhaft, denn es gab sie zuletzt im Jahre 1946 in Hamburg, wo damals das britisch geprägte Mehrheitswahlrecht zur Anwendung kam.

Doch nun, wo die aus Sicht der Opposition unheimliche Bedrohung anscheinend kaum noch abzuwenden ist, stellt man sich erstmals die Frage, was die CSU denn mit einer derartigen Machtfülle alles anrichten könnte. Vor allem innerhalb des Landtags wäre eine Zweidrittelfraktion der CSU einer ganzen Reihe an Verlockungen ausgesetzt, deren Konsequenzen für die Demokratie im Parlament unschön wären: So könnte die Partei zwar keine Untersuchungsausschüsse verhindern, auf der anderen Seite aber würde die Opposition aus eigener Kraft womöglich keinen Antrag auf Anklage gegen Minister der Staatsregierung einreichen können, wenn diese etwa Gesetze oder die Verfassung vorsätzlich verletzt haben. Zumindest würde es dann auf jeden Sitz ankommen, denn für solch einen Antrag ist genau ein Drittel der Stimmen nötig. Auch große öffentliche Anfragen im Parlament und Dringlichkeitsanträge zu bestimmten Themen könnten die Christsozialen problemlos ablehnen oder so lange herauszögern, bis sich das Thema erledigt hat.

Zudem wäre es ein Leichtes, missliebige Ausschussvorsitzende und deren Vertreter nach Gutdünken auszuwechseln. Auch den Präsidenten des Bayerischen Rechnungshofes oder den Landesbeauftragten für den Datenschutz könnte die Stoiber-Regierung bei einer Zweidrittelmehrheit entlassen – ausgerechnet jene Personen also, deren Aufgabe darin besteht, die Arbeit der Regierung zu kontrollieren.

Schließlich müssten sich die Abgeordneten bei ihrer Arbeit auch nicht mehr unbedingt auf die Finger schauen lassen. Die Öffentlichkeit könnte bei Bedarf sowohl aus Plenar- wie aus Ausschusssitzungen ausgesperrt werden, selbst Untersuchungsausschüsse könnten weitgehend hinter verschlossener Tür tagen. Für die Transparenz politischen Handelns, um die es im CSU-monopolisierten Bayern ohnehin nie zum Besten bestellt war, hätte das fragwürdige Folgen.

Angesichts dieser Möglichkeiten verwundert es ein wenig, wenn sowohl liberale wie auch konservative Politologen wie die Professoren Kurt Sontheimer und Heinrich Oberreuter einmütig eine Gefährdung der Demokratie ausschließen.

Unberührt von den Mehrheitsverhältnissen bleibt allerdings die Landesverfassung. Anders als im Bund darf in Bayern das Parlament keine Verfassungsänderung durchsetzen. Zwar wäre es für die CSU bei einer Zweidrittelmehrheit möglich, Anträge auf eine Änderung zu verabschieden, doch darüber entscheiden müsste dann eine Volksabstimmung. Wo das steht? In der bayerischen Verfassung.