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Archiv-Artikel

Strandnachbarn protestieren getrennt

In vielen Städten ebben die Montagsdemos ab. Lübeck und Schwerin trotzen dem Trend. Sonst aber haben die beiden norddeutschen Städte vor allem eins gemeinsam: die hohe Arbeitslosenquote. Zusammen demonstrieren wollen sie nicht

VON SASCHA TEGTMEIER

Zweifelsohne eint die Schweriner und Lübecker norddeutsche Beharrlichkeit. Das zeigt sich auch bei den Montagsdemos gegen Hartz IV. Denn beide Städte trotzen dem bundesweiten Trend: Insgesamt trafen sich am Montag etwa 20.000 Menschen weniger als noch eine Woche zuvor. In Lübeck und Schwerin aber hat sich die Zahl der Demonstranten gegenüber der Vorwoche verdoppelt.

Trotz dieser Gemeinsamkeit unterscheiden sich die Proteste in den beiden Ostseestädten deutlich. Das zeigt sich schon bei der Beteiligung. In Mecklenburg-Vorpommern insgesamt haben sich die Proteste ausgeweitet. Allein in der Landeshauptstadt Schwerin demonstrieren vorgestern 2.500 Menschen. In Lübeck versammelten sich dagegen nur 700 Demonstranten vor der SPD-Zentrale. Dabei ist Lübeck doppelt so groß wie der östliche Nachbar.

Thomas Fröde, Regionschef des DGB, führt als Mitorganisator den Erfolg der Schweriner Demo – in norddeutscher Bescheidenheit – auf das bessere Wetter in dieser Woche zurück. Am Montag steht er vor dem Innenministerium in der Karl-Marx-Straße und spricht stolz in ein Megafon: „Wir werden immer mehr, und die Regierung wird immer nervöser.“

Fröde sieht dabei so wenig rebellisch aus wie ein Beamter in der Mittagspause. Entsprechend geordnet machen sich die Demonstranten nach seiner kurzen Ansprache auf den Weg in Richtung Willy-Brandt-Haus. Vorneweg marschieren zwei ältere Herren von der IG Metall. Sie tragen das universell einsetzbare Plakat „Gemeinsam für Arbeit und Gerechtigkeit“.

Der Umzug ist so leise, man erahnt das nicht so ferne Meeresrauschen. Doch die Stille täuscht. Denn wie auch im lauten Magdeburg laufen hier vor allem Betroffene, und die sind sauer. „Schröder ist ein Verbrecher“, ereifert sich ein Mann in Segeljacke und Gesundheitsschuhen. Bis vor zwei Jahren war er Computerverkäufer, in diesem Jahr nun musste er in eine kleinere Wohnung umziehen. Das war allerdings schon vor den Reformen. „Wenn Hartz IV kommt, dann wird das alles noch schlimmer. Entwürdigend“, schimpft er und hält ein Schild in die Luft, das er von Ver.di bekommen hat. „Nein!“ steht darauf.

Auch verschiedene Erwerbsloseninitiativen hatten zu dem Protest aufgerufen. Doch die Gewerkschaften haben die Zügel fest in der Hand. „Wir sind an die Spitze gegangen“, sagt Fröde vom DGB. Bis auf den Erwerbslosenverein mit dem plattdeutschen Namen „Dau wat“ sind kaum andere Organisationen zu sehen – auch nicht die PDS.

Niemand hier hat Lust, mit den benachbarten Lübeckern zusammen zu demonstrieren. „Das hat nichts mit Ost und West zu tun“, sagt der Rentner Dirk Scheffsky. Der Protest müsse zunächst regional bleiben. Doch der ehemalige Sozialarbeiter spürt schon Spannungen zwischen Ost und West: „Die Herrschenden hetzen uns gegeneinander auf“, sagt er und hebt seinen Zeigefinger. Er wolle nicht die DDR zurückhaben, aber Soziales hätte bei der Wiedervereinigung vom Osten übernommen werden müssen.

Eine Frau mit rot gefärbten Haaren fühlt sich als Ostdeutsche bei allem benachteiligt, auch beim Arbeitslosengeld II. „Wenn schon soziale Einschnitte, dann müssen wenigstens Ost und West gleich behandelt werden“, sagt sie. Auf ihrem Plakat steht: „Wir sind das Volk – stimmt das noch?“

Währen die Schweriner vor dem Willy-Brandt-Haus nun doch laut werden und in die Trillerpfeifen blasen, sammeln sich in Lübeck die ersten Demonstranten auf dem Marktplatz. Auch hier werden vor allem Gewerkschaftsfahnen geschwungen. Die Lübecker machen jedoch einen weniger emotionalen Eindruck. „Hier ist es den Menschen noch nicht so bewusst wie im Osten“, sagt einer von ihnen, der als Hausmeister arbeitet. Es zeichne sich der „Einstieg für weitere Abstriche“ ab, und das müssten auch die Lübecker verstehen. Von der Arbeitslosigkeit sind beide Städte gleichermaßen betroffen. In Lübeck wie Schwerin finden 15 Prozent keine Arbeit.

Uwe Polkaehn vom DGB glaubt, dass die Lübecker sehr wohl verstanden haben, dass Hartz IV auch sie bedroht. „Das Thema ist überall in der Gesellschaft angekommen“, sagt er. Die Montagsdemos im Osten hätten das beflügelt. Und der ist von Lübeck aus nicht weit weg.