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Archiv-Artikel

„Zu Tode gekuschelt“

Erfahrungen mit weiblichem Sexismus: eine nicht repräsentative Umfrage unter Männern in Sportgruppen, in der Werbe- und Kulturbranche.

1. Bloßstellung vor Tanten

„Als Vierjähriger fiel ich im Kindergarten beim Spielen in das Planschbecken. Die ‚Tanten‘ mit ihren weißen Schürzen über grauen, hoch geschlossenen Kleidern, zogen mich vor allen anderen Kindern nackt aus und stellten mich auf einer Decke zur Schau. Und übel ausgeschimpft wurde ich auch. Nie in meinem späteren Leben habe ich mich mehr geschämt. Alle starrten auf mein Glied, das zuvor nur meine Mutter und mein Vater hatten sehen dürfen. (Wolfgang*, 52 Jahre, Politikwissenschaftler)

2. Ungeliebtes Tätscheln

„Es war vor neun Jahren, ich war Berufsanfänger in einer Werbeagentur, und jetzt ging es darum, ob ich fest angestellt werden würde. Also bat ich meine Chefin, sie damals gut über 40, um einen Termin. Sie grinste mich an, sagte spöttisch: ‚Ja, das machen wir bestimmt‘ – und tätschelte meine Wange. Tage später versuchte ich es noch mal, und sie tätschelte mich wieder. Wieder war ich sprachlos über diese Distanzlosigkeit. Im Nachhinein betrachte ich diese Geschichte als lehrreich: Hatte ich doch die seltene Gelegenheit, als Mann eine Übergriffigkeit zu erfahren, die wohl viele junge Frauen mit ihren Chefs erleben müssen.“ (Thomas, 35, tätig in der Werbebranche)

3. Herabsetzung als „Toy Boy“

„ ‚Was? Du bist 27, und sie ist 38? Aber das sieht man euch ja wirklich nicht an.‘ Da ist er wieder, der ganz subtile Sexismus: Ich muss älter aussehen, als ich bin, damit die Leute sich erklären können, dass meine Freundin elf Jahre älter ist als ich. Das ist nicht nur eine Alters-, sondern auch eine Geschlechterfrage. So hat Joschka Fischers (60) Ehefrau Minu Barati (33) sicher noch niemand gesagt, dass sie zum Glück auch aussieht wie 60. In Frauenzeitschriften liest man immer wieder vom ‚ekstatischen Womanizer‘, ‚unbeschwert von den Desillusionen des Alters‘, den die Dame nach einem ‚kurzweiligen Abenteuer‘ gern wieder ‚von der Bettkante stoßen‘ kann. Wenn sich eine Frau aber im echten Leben an einem ‚Erfrischungsstäbchen‘ wie mir ‚vergreift‘, wird sie, wie meine Freundin anfangs, durchaus ganz real für ‚pädophil‘ und ‚nicht ganz dicht‘ gehalten.“ (Winfried, 27, Student)

4. Die „Halbes Mädchen“-Beleidigung

„Als schwuler Mann wird man zum Opfer eines weiblichen Sexismus, indem man in seiner Männlichkeit nicht ernst genommen wird. Das Opfer, der schwule Mann, wird halb zu Tode gekuschelt: Man wird zum Notnagel oder männlichen Übungsobjekt, das nicht wirklich gefährlich wird. Gut in Erinnerung ist mir auch meine Erfahrung in einem Projekt, in dem eine Frauenquote galt: ‚Ich weiß, dass du ja eigentlich ein halbes Mädchen bist, aber die Stelle kannst du doch nicht haben‘, erklärte mir die Abteilungsleiterin. Da blieb mir die Luft weg.“ (Rolf, 40, Buchautor)

5. Knallharter Karrierezwang

„Die schlimmste Männerdiskriminierung ist für mich die Tatsache, dass für uns im Job härtester Karrierezwang gilt. Auch für mich. Spürt die Frau, dass der Berufserfolg ausbleibt, kann sie sich vor dem Selbsteingeständnis unzureichender Fähigkeiten in die Schwangerschaft retten. Ich kann das nicht. ‚Ab 30 stoßen Frauen erbarmungslos an eine gläserne Decke‘, sagt Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Würde ich was von ‚gläserner Decke‘ erzählen, bekäme ich die Diagnose paranoider Wahnvorstellungen. Für mich heißt es gnadenlos ‚up or out‘. Frauen hingegen können nach einer Familienphase zurückkehren – in Teilzeit.“

(Hanno, 43, Wirtschaftsberater)

PROTKOLLE: BARBARA DRIBBUSCH

* Namen geändert