: „Er hatte früh Zweifel an seiner Tat“
Erster Verhandlungstag gegen den reuigen jugendlichen Busentführer. Schulkrise als möglicher Auslöser. Der religiöse Hintergrund spielt keine tragende Rolle, sagt die Staatsanwaltschaft. Mit-Geisel stachelte den Jugendlichen offenbar an
Bremen taz ■ Der 17-jährige Angeklagte, der am 25. April einen Linienbus aus der Neustadt mit 16 Insassen entführt hatte, bedeckte sein Gesicht mit einer Baseball-Mütze. Justizbeamte schützten ihn auf dem Weg zum Schöffengericht vor Kameras und Blicken. Gestern begann die Verhandlung gegen Ali T. – mit einem Geständnis.
Wie sein Verteidiger Albert Timmer und Staatsanwalt Uwe Picard in einer Prozesspause mitteilten, hat der eingebürgerte, im Libanon geborene Schüler sich bei allen vor Gericht befragten Geiseln entschuldigt. „Das war nichts Abgelesenes“, urteilte Picard und attestierte dem Angeklagten „eine gute Erziehung“. Ihm sei, so sein Verteidiger, natürlich klar, dass er seine Tat mit einer Entschuldigung nicht wieder gutmachen könne.
Drei der Geiseln, zwei Frauen und der 35-jährige Busfahrer wurden gestern in der nicht-öffentlichen Verhandlung vernommen. Durch die Aussagen ziehe sich der Tenor, so Timmer, dass der junge Mann freundlich gewesen sei und versucht habe, die Geiseln zu beruhigen. Weinenden habe er Taschentücher gegeben, drei Geiseln konnten den Bus schon zu Beginn der Entführung verlassen.
Auf die Aussage einer vierten Geisel verzichtete das Gericht gestern überraschend. Der Zeuge T., der nach der Entführung verschiedene Gelegenheiten wahrnahm, um die Geschehnisse im Fernsehen zu schildern, soll den Angeklagten ermutigt haben, einen Schuss aus der Gaspistole durch das offene Busfenster abzugeben. Ali T. selbst habe relativ schnell „Zweifel an seiner Tat entwickelt“, sagte Anwalt Timmer. Er habe dann nach einem Weg gesucht, „die Sache zu beenden“. Auch hier übernahm Zeuge T. offenbar eine merkwürdige Rolle. Er führte die Verhandlungen mit der Polizei eigenmächtig fort, als der Angeklagte dazu nicht mehr imstande war. „Vielleicht hätte die Sache nicht sieben Stunden dauern müssen“, mutmaßt Staatsanwalt Picard.
Ein terroristischer Hintergrund wird nach dem gestrigen Prozesstag weiter ausgeschlossen. Zwar hatte Ali T. schriftlich die Freilassung von Häftlingen aus dem Umfeld von Al Qaida gefordert, aber schon, als ihn Polizeibeamte im Bus noch einmal nach den Namen fragten, hatte er sie vergessen. „Der religiöse Hintergrund spielt in diesem Prozess keine tragende Rolle“, fasst Picard zusammen. Verteidiger Albert Timmer spricht stattdessen von einer „Scheinwelt“, in die sich der junge Mann gestürzt habe. „Er wollte Deutschland verlassen und Gotteskämpfer werden.“ Beobachter der Verhandlung sagen, der junge Mann hätte von einer „Clique Jugendlicher“ berichtet, in der entsprechende Videos gesehen wurden.
Ausgelöst wurde diese Identitätskrise offenbar auch durch Schulprobleme. Ali T. soll um seine Ausbildung zum mathematisch-technischen Assistenten gebangt haben. Heute werden sein Bruder und Freunde als Zeugen vernommen. Außerdem wird ein psychiatrisches Gutachten vorgetragen. Dass dann auch schon das Urteil ergehen wird, ist unwahrscheinlich.
Weder Ali T.s Verteidiger noch der Staatsanwalt wollten sich gestern zu der Strafe äußern, die sie für die Tat jeweils fordern werden. Erwachsenen droht bei einem solchen Verbrechen Freiheitsentzug nicht unter fünf Jahren. „Im Jugendstrafrecht sind die Spielräume viel größer“, sagt ein Sprecher des Amtsgerichts. Bleibt die vom Gericht verhängte Haftstrafe unter zwei Jahren, so kann sie auf Bewährung ausgesetzt werden. Elke Heyduck