DIE GRÜNEN MÜSSEN SICH OFFENSIV ZUR ARBEITSMARKTREFORM BEKENNEN
: Hartz IV ist Absicht

Eigentlich müssten die Grünen jetzt nicht schweigen, sondern jubeln. Während die SPD in ihrem Wahlprogramm nur höchst gequält eine „Verzahnung“ von Sozial- und Arbeitslosenhilfe annoncierte, forderte der Koalitionspartner klipp und klar: „Die Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung ersetzt die Sozial- und Arbeitslosenhilfe.“ Die Partei erklärte das Vorhaben sogar zu ihrem „Schlüsselprojekt“. So gesehen ist es also nur gerecht, wenn sich der Hartz-Protest fast nur gegen die SPD und kaum gegen die Grünen richtet: Die Sozialdemokraten sind umgefallen, ihr bürgerlicher Koalitionspartner nicht.

Dass die Grünen diesen Triumph still genießen, statt offensiv dafür zu werben, ist parteitaktisch geschickt. Der Sache dient es nicht. Zugegeben: Am Beginn der Reformdebatte wäre es geradezu politischer Selbstmord gewesen, offensiv für das Prinzip der Bedarfsorientierung bei sozialen Leistungen zu werben. Wer jahrzehntelang gut verdient hat, soll auch bei langer Arbeitslosigkeit besser leben als ein Leidensgenosse, der einst wenig Lohn bezog – das ist es, was die Deutschen seit Bismarcks Zeiten unter sozialer Gerechtigkeit verstanden. Dass dieses Prinzip künftig nicht mehr gelten soll, verstört die breite Mittelschicht zutiefst.

Wer das ganz Debakel bloß auf „handwerkliche Fehler“ der Regierung schiebt und den Ruf nach einer „Nachbesserung“ in den Mittelpunkt stellt, der mogelt sich um den eigentlichen Stein des Anstoßes herum. Kaum einer traut sich noch zu sagen: Hartz war kein Fehler, sondern volle Absicht. Inzwischen hat der Streit ein Ausmaß an Konfusion erreicht, das nach einem solchen Bekenntnis verlangt. Die Diskussion um das handwerkliche Unvermögen von Rot-Grün schadet der Regierung mehr als die Debatte um die Sache selbst. Niemand könnte solch klare Worte überzeugender aussprechen als die Grünen. Niemand könnte sie besser mit der positiven Zukunftsperspektive einer sozialen Grundsicherung verbinden, die eines Tages auch andere Bereiche wie das Renten- und Steuersystem umfasst – und am Ende sogar 16-seitige Formulare überflüssig macht. RALPH BOLLMANN