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Archiv-Artikel

PDS verweigert Armutsbekenntnis

Sozialisten stimmen im Abgeordnetenhaus gegen Hartz IV. SPD verärgert. Dennoch beschwören beide den Koalitionsfrieden. Dafür werfen CDU und FDP der PDS Wählerbetrug und Populismus vor. Die Arbeitsverwaltung kündigt Jobinitiative an

von STEFAN ALBERTI UND RICHARD ROTHER

Der Zoff um Hartz IV hat gestern dazu geführt, dass die Koalitionspartner SPD und PDS im Abgeordnetenhaus gegeneinander gestimmt haben. Einem Grünen-Antrag, die Reform grundsätzlich zu begrüßen, stimmten nur SPD und CDU zu, die PDS lehnte ab. Bislang beschränkte sich der Streit auf bloße Kritik. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass SPD und PDS zusammen stimmen. Sprecher beider Fraktionen beteuerten, die Koalition sei nicht gefährdet. In Erinnerung war gestern nur ein ähnlicher Vorfall. Dabei wollte die PDS 2003 gegen die SPD Hindenburg aus der Ehrenbürgerliste stimmen.

Das zentrale Thema soll Hartz IV im Parlament sein, einmütig betonten alle Fraktionen, wie sehr man die Sorgen der Betroffenen im Auge habe, wie wichtig schnelle Umsetzung sei. Einzelne Abgeordnete aber setzten ihre Prioritäten gestern anders. CDU-Fraktionsvize Annelies Hermann etwa las sich während der Debatte durch eine Ausgabe des Gartenfreunds samt Beilage.

Vorne am Rednerpult schlugen CDU und FDP währenddessen auf die PDS ein. Wer so agiere, „der lügt sich selber in die Tasche und betrügt die Wähler“, sagte CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer. Die PDS betreibe „reinen Sozialpopulismus, der nur zum Stimmenfang dient und auf Kosten der Bedürftigen geht“.

PDS-Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner bekannte sich zwar erneut dazu, Hartz IV als Bundesgesetz umzusetzen. Dazu verpflichte das Grundgesetz die Landesregierungen. „Es verpflichtet aber nicht, das Gesetz zu bejubeln“, sagte sie.

FDP-Fraktionschef Martin Lindner riet den Sozialdemokraten, sich ganz von ihrem Koalitionspartner zu trennen: Wenn die SPD Oskar Lafontaine rauswerfe, der so nah bei der PDS sei, „dann seien Sie konsequent und werfen Sie die PDS aus dem Senat raus“.

Bei der SPD war zwar nicht das Bedürfnis zu spüren, die PDS links liegen zu lassen und zu den Bürgerlichen zu rücken. Aber Fraktionschef Michael Müller zeigte deutlich, wie sehr ihn die PDS-Teilnahme an den Montagsdemonstrationen ärgert: Mitmarschierende Parteien, Politiker und Gewerkschaften sollten sich „gut überlegen, welche Welle sie womöglich damit lostreten und mit welchen Gruppen sie Seite an Seite demonstrieren“.

Müller sah Berlin „schon sehr weit“ bei der Umsetzung von Hartz IV und verwies auf die Rahmenvereinbarung mit der Arbeitsagentur, die Berlin Stunden zuvor als erstes Bundesland unterzeichnet hatte. Demnach sollen Arbeits- und Bezirksämter in jedem Bezirk Job Center einrichten, die das Arbeitslosengeld (Alg) II auszahlen, das auf jetzigem Sozialhilfeniveau liegt. Alg II sollen rund 260.000 Berliner bekommen. Knake-Werner (PDS) räumte ein, dass die Job Center noch nicht in jedem Bezirk im Januar starten können. Zurzeit fehlten noch rund 1.500 Mitarbeiter. Es werde alles darangesetzt, dass die Betroffenen ihr Geld pünktlich erhalten.

Arbeitsstaatssekretärin Susanne Ahlers kündigte Beschäftigungsmöglichkeiten für die Betroffenen an. Besonders zu berücksichtigen seien Jugendliche, ältere Langzeitarbeitslose, Ausländer und Alleinerziehende. Bei den Jobs werde es sich um klassische Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, sozialversicherungspflichtige als auch die so genannten Ein-Euro-Jobs handeln.

Wie viele solcher Jobs, mit denen die soziale und kulturelle Infrastruktur erhalten werden soll, geschaffen werden, sei aber noch unklar. Als grobe Größenordnung nannte Ahlers die Zahl 40.000, überwiegend Ein-Euro-Jobs. Allerdings könne ein Ein-Euro-Jobber auf mehr Geld kommen als eine ABM-Kraft, die 900 Euro brutto – rund 770 Euro netto – erhalte.