: Lieber absaugen statt schlucken
Die Abtreibungspille hat sich seit ihrer Zulassung in Deutschland vor fünf Jahren nicht gegen die operative Standardmethode durchgesetzt. Vorbehalte und Unwissenheit verhindern häufig, dass den Frauen diese Methode überhaupt angeboten wird
VON KATRIN JÄGER
Gegner, allen voran die CSU und die katholische Kirche, verdammten sie als Teufelspille, Befürworter priesen sie als medizinischen Fortschritt. Die Zulassung der Abtreibungstablette Mifegyne in Deutschland im Sommer 1999 ließ die Emotionen hochschlagen.
Die Gegner blockierten die Tore der damaligen Vertreiberfirma Hexal im bayrischen Holzkirchen, unter Politikern gab es heftige Kontroversen. Noch immer verwenden Frauenärzte das auch unter dem Namen RU 486 bekannte Mittel relativ sparsam, obwohl die Abtreibungspille körperlich für die Frau schonender ist als die Absaugung. Denn im Gegensatz zu diesem operativen Standardverfahren kann es bei der medikamentösen Methode mit Mifegyne nicht zu Gebärmutterverletzungen kommen. Außerdem entfällt die körperliche Belastung durch die Narkose.
Beim medikamentösen Abbruch nimmt die Frau drei Pillen Mifegyne in der gynäkologischen Praxis ein. Dann geht sie nach Hause. In den folgenden Tagen stellen sich Blutungen ein. Zwei Tage später schluckt sie weitere Tabletten mit dem Wirkstoff Prostaglandin. Daraufhin zieht sich die Gebärmutter ähnlich wie bei einer Wehe zusammen. In Verbindung mit heftigen Blutungen spülen diese Kontraktionen die tote Leibesfrucht heraus. Die anschließenden Blutungen dauern zirka zwei Wochen an.
Bundesweit entscheiden sich nur rund sechs Prozent aller betroffenen Frauen für das Medikament. Zum einen, weil die Operation länger angewendet werden darf, nämlich bis zur zwölften Schwangerschaftswoche, Mifegyne aber nur bis zur siebten. Zum anderen, weil Mifegyne immer noch zu unbekannt ist.
Das Mittel darf bis heute nicht beworben werden. Dafür haben Abtreibungsgegner gesorgt, so der Landesvorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte in Hamburg, Thomas Gent. „Die Angst war sicherlich tatsächlich, dass es zu einem abrupten Anstieg von Schwangerschaftsabbrüchen kommt. Dieser Angst kann ich widersprechen. Das ist einfach, die Zahlen zeigen es eindeutig, nicht der Fall.“
Darüber hinaus kann es sein, dass Frauenärzte ihre Patientinnen nicht ausreichend über die Abtreibungspille aufklären, vermutet Gent. Denn obwohl der zeitliche Aufwand für diese Art des Schwangerschaftsabbruchs hoch ist, ist die Vergütung oft geringer als für die Operation. Jedenfalls dann, wenn eine Frau mit geringem Einkommen nicht selbst zahlt, sondern das Sozialamt. Das ist bei neunzig Prozent aller betroffenen Frauen so.
In Hamburg beispielweise erstattet die Sozialbehörde dem Arzt für einen operativen Abbruch rund 200 Euro, für den mit Mifegyne rund die Hälfte. Einige Bundesländer, beispielsweise Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg, haben inzwischen die Pauschalregelung eingeführt. Dort erstatten die Sozialämter den Ärzten einen einheitlichen Satz, unabhängig davon, auf welche Art sie die Schwangerschaft beenden.
Der Prozentsatz der medikamentösen Abbrüche liegt bei Ländern mit dieser Regelung über dem Bundesdurchschnitt, außer in Bayern. Dort klären viele Frauenärzte ihre Patientinnen trotz gleicher Vergütung nicht über Mifegyne auf.
Diese Erfahrung macht Hermine Baumann, Beraterin bei Pro Familia in München. „Das sind Vorbehalte der Methode gegenüber, beziehungsweise Unwissenheit bei den Ärzten darüber, dass es diese Methode bei uns in Deutschland überhaupt gibt“, sagt sie. Denn vor der Einführung von Mifegyne haben insbesondere in Bayern die CSU und die katholischen Kirche heftige moralische Bedenken gegen die Abtreibungspille geäußert. An dieser Position hat sich bis jetzt nichts geändert.
„Wir lehnen dieses ab, weil hier zum ersten Mal ein Medikament zur Abtreibung eingesetzt wird. Das nährt die Annahme, dass sich es bei der Schwangerschaft um eine Krankheit handelt“, so der Sprecher der katholischen Kirche, Andreas Herzig.
In Ostdeutschland schlucken überdurchschnittlich viele abtreibungswillige Frauen die Tablette. In Thüringen sogar 17 Prozent. Dort findet der operative Abbruch meist stationär im Krankenhaus statt. Und das wollen viele Frauen nicht.
In unserem Nachbarland Frankreich wird Mifegyne schon einige Jahre länger angeboten als hier. Dort wählt inzwischen jede dritte abtreibungswillige Frau die medikamentöse Methode, in Schweden jede zweite. Frauenarzt Gent findet die Zurückhaltung seiner deutschen Kollegen in Bezug auf Mifegyne „nicht sachlich medizinisch zu begründen, sondern rein emotional politisch“. Wenn ein beratender Frauenarzt hierzulande den operativen Abbruch favorisiere, dann habe das meist wirtschaftliche oder moralische Gründe.
Gents eigene Beratung ist ergebnisoffen. „Das heißt, ich stelle die verschiedenen Wege der Abtreibung vor. Und zähle deutlich die Vor- und Nachteile auf. Um dann zusammen mit der Frau, idealerweise auch mit dem Partner, einen auf sie zugeschnittenen individuellen Weg zu wählen.“ Ob ausführlichere Beratungsgespräche dazu beitragen, dass mehr Frauen die schonendere Tablette statt der Operation wählen, bleibt abzuwarten.