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Archiv-Artikel

Bewährte Änderungen

Ende des Glaubenskriegs um die Rechtschreibreform? Morgen erscheint die neue Auflage des Duden

VON RUDOLF WALTHER

Morgen – und mitten in der Rechtschreibdebatte – kommt die neue, 23. Auflage des Duden in den Handel. Die äußeren Daten sind beeindruckend: Das Wörterbuch enthält 125.000 Stichwörter (1880 waren es 29.000) mit Angaben zu Wortbedeutung, Worttrennung, Grammatik, Etymologie und Aussprache. Allein 5.000 Wörter wurden neu aufgenommen. Dazu gehören „Alcopops“, „Schurkenstaat“ und „Ich-AG“ ebenso wie „Roadmap“, „Riester-Rente“ und „Zentralabitur“. Wie in der 22. Auflage werden neue Schreibungen und Regeln rot hervorgehoben und kitzlige Fälle in Informationskästen erläutert. Insgesamt wirkt das Buch, dessen Layout mit einem Preis ausgezeichnet wurde, nicht nur gediegen – es ist auch benutzerfreundlich.

Die Duden-Redaktion unter Matthias Wermke hofft, dass der Glaubenskrieg, den einige Linguisten und Zeitungen seit Jahren gegen die Rechtschreibreform führen, nun beigelegt wird. Die Redaktion trug das ihre dazu bei, denn sie folgte der Kritik im einzigen Punkt, der zum Teil berechtigt war: Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung von Adjektiven und Verben („wohl versorgt“, „wohl geordnet“) lässt sie nun auch die alte Schreibweise wieder zu („wohlversorgt“, „wohlgeordnet“). Damit ist für die Erhaltung von sprachlichen Nuancen ebenso gesorgt wie mit der Regelung von „blaurot“ für ein bläuliches Rot und „blau-rot“ für ein Hemd mit den Farben Blau und Rot.

Die zänkischen Aufgeregtheiten (zuletzt SZ von gestern) um „Leid tun“/„leidtun“ bzw. „sozial verträglich“/„sozialverträglich“ haben sich erledigt – beide Varianten sind zulässig. Dass das „schöne Wort ,eine Handvoll‘“ ersetzt wird durch „eine Hand voll“, darf Peter von Matt bedauern, aber vom „Wüten“ der Reformer zeugt es gerade nicht. Man musste immer schon „ein Glas voll“ schreiben, denn „ein Glasvoll“ war nie korrekt. Hier wurde also nur Gleiches – Hand und Glas als Mengenmaß – gleich geregelt. Da wurde ein Irrtum revidiert. Aber wer hierzulande Fehler, gar eigene, korrigiert, provoziert die Rhetorik des „Wie lange noch“-Journalismus und verfällt dem Verdikt, ein „einfältiges Spiel mit Irrtum und Revision“ (FAZ 26. 7. 2000) oder eine Art „Echternacher Springprozession“ (FAZ von gestern) zu betreiben.

Auch in der neuen Ausgabe gibt es Inkohärentes. Gröberes und alles, was sich nicht bewährt, wird man begradigen. So steht unter „fach“ nur die Schreibung „4fach“, obwohl nach „Kennziffer 30“ „8fach“ und „8-fach“ erlaubt sind. Auf das Stichwort „Exsudat“ (Absonderung) folgt ein Kasten, der darauf hinweist, dass das Wort „Ekstase“ nicht hier erscheint, weil das aus dem Griechischen stammende Wort nicht mit „Ex“ anfängt. Das ist hinreißend benutzerfreundlich. Warum aber soll man das Partizip „pizzicato“ italienisch und das Substantiv „Pizzikato“ deutsch schreiben? Warum nicht gleich „Pitza“ statt „Pizza“, wenn schon „Spagetti“ erlaubt wird neben „Spaghetti“.

Angesichts der pragmatischen Begründungen, mit denen der Duden die amtlichen Regelungen von 1996 umsetzt, fällt die vom FAZ-Redakteur Johann Georg Reißmüller begonnene und von seinen Kollegen Heike Schmoll und Hubert Spiegel fortgesetzte Kampagne gegen die Rechtschreibreform wie ein Kartenhaus in sich zusammen. An linguistischen Argumenten fehlte es ohnehin von Anfang an. Ersatzweise stellte man die Reform deshalb in die Tradition eines nationalsozialistischen Sprachreformvorhabens, das jedoch erklärterweise „nichts spezifisch Nationalsozialistisches“ enthielt. Bleibt ja immer etwas hängen. Weil das nicht genügte, fand man die Buhmänner bei den 68ern und der „emanzipatorischen Pädagogik“. Half auch nicht weiter. Zuletzt blieb den Biedermännern nur noch die Wilhelm-Tell-Pose, mit der sie die Reformer beschuldigten, sie würden einen „Geßlerhut“ (Theodor Ickler) in die Landschaft stellen.

Die Rechtschreibkommission der Kultusminister und die Mannheimer Duden-Redaktion treten aber gerade nicht als autoritative Regulierer auf, sondern begründen die bescheidenen Anpassungen mit dem beobachteten Sprachwandel auf der Basis eines Textkorpus von über 500 Millionen Einheiten. Die von den Gegnern immer wieder beschworene „bewährte Schreibweise“ ist, anders als die fundamentalistischen Sprachkrieger vorgaukeln, selbst im Fluss. Heute schreibt kein Mensch mehr „Photo“ für „Foto“. Die Grundlage der „bewährten Schreibweise“ ist über weite Strecken nur ein Gemisch aus Traditionalismen, Marotten und reinen Irrationalismen („Auto fahren“, aber „radfahren“). Theodor Ickler, der Einpeitscher der Reformgegner, ist „überzeugter Behaviourist“ und möchte dieses grobianische Erklärungsmodell für das Verhalten im Windschatten des halbdarwinistischen Sozialtechnologen B. F. Skinner auf die Sprachlerntheorie übertragen. Nicht zufällig beruhen Icklers einzige Argumente auf omlettplattem Utilitarismus – das „Bewährte“ ist „üblich“ und daher „zweckmäßig“ –, fragt sich, warum, für wen und wozu.

Die Reformer traten mit dem Anspruch an, die Rechtschreibung zu vereinfachen. Dieser richtige Anspruch ist unzulänglich umgesetzt worden, aber das liegt weniger an den Reformern als am mangelnden Mut der Kultusministerkonferenz zu einer großen Lösung, die wenigstens die gemäßigte Kleinschreibung und die Streichung des ß enthalten müsste. Lehrer bestätigen, dass das Zusatzhäppchen Vernunft, das die Reformen erlauben, den Rechtschreibunterricht erleichtert hat – für die Kinder.