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Archiv-Artikel

Ja oder nein, aber immer gegen Chirac

Frankreichs SozialdemokratInnen streiten über Zustimmung zur oder Ablehnung der EU-Verfassung. Die Linken sind dagegen, die Basis auch

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Monatelang hat die Sozialistische Partei (PS), Frankreichs größte Oppositionspartei, lautstark nach einem Referendum über die EU-Verfassung verlangt. Im Sinne der Demokratie. Doch seit Staatspräsident Jacques Chirac am Nationalfeiertag das Referendum für kommendes Jahr angekündigt hat, zeigt sich, dass die SozialdemokratInnen durch viele widersprüchliche Meinungen gelähmt sind: Die Parteispitze ist eher dafür, der linke Flügel eher dagegen, und die Basis tendiert gegenwärtig auch eher zum „Non“. Im Dezember will die PS bei einer internen Abstimmung ihre Position festlegen. Bis dahin will sie über Europa debattieren.

Die heute beginnende Sommeruniversität in der westfranzösischen Stadt La Rochelle ist der Auftakt. Im Vorfeld des dreitägigen Treffens meldeten sich fast alle „Elefanten“ der Partei zu Wort. Darunter auch die konkurrierenden potenziellen PS-KandidatInnen für die Staatspräsidentschaftswahl im Jahr 2007. Gegenwärtig gibt es deren mindestens sechs. Darunter Parteichef François Hollande, der zweite Parteichef Laurent Fabius und der Exwirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn. Im offiziellen Programm der Sommeruniversität kommt das Stichwort „Europa“ nur einmal vor, mit der Frage: „Wie erreichen wir ein Europa des Wachstums?“. Doch in den Stellungnahmen der „Elefanten“ geht es ausschließlich darum. Parteichef Hollande ruft seine GenossInnen nach eineinhalbmonatiger Überlegung zu einem klaren „Ja – aber“ zu dem „Verfassungsvertrag“ auf. Begründung: Der Text sei nicht schlechter als die bisherigen EU-Verträge. Er behindere linke Reformen nach einem etwaigen Machtwechsel nicht und könne zudem auch wieder geändert werden. Aber: Die Partei dürfe sich in der Europafrage nicht spalten lassen.

Diese Begründung klingt nicht nur defensiv, sie ist es auch. Parteichef Hollande hatte mehr von dem „Verfassungsvertrag“ erwartet. Mehr Soziales. Deswegen verspricht er seinen Landsleuten schon jetzt, dass seine Partei, so sie im Jahr 2007 wieder an die Macht kommt, für einen „sozialen Zusatzvertrag“ zum Verfassungstext sorgen werde.

Der zweite Mann in der PS, Expremierminister Fabius, tendiert zu einem „Non“ zu dem Text, in dem ihm die soziale und die steuerliche Harmonisierung in Europa fehlt. Doch in den Tagen vor der Sommeruniversität haben enge Mitarbeiter von ihm durchblicken lassen, dass Fabius sich auf dem Weg zu einem „Ja – mit Bedingungen“ befindet. Chirac möge die französische Zustimmung an die Bedingung sozialer Zugeständnisse knüpfen, verlautet aus der Ecke der FabiusianerInnen. Exwirtschaftsminister Strauss-Kahn hat sich schon vor der Sommerpause positioniert. Er ist für den Text.

Das Problem für die Parteispitze sind die Linken und die Basis. Die stehen unter dem Eindruck der globalisierungskritischen Bewegung. Auf der Sommeruniversität von Attac identifizieren die GlobalisierungskritikerInnen den Verfassungsvertrag mit einem wirtschaftsliberalen Europa, mit Sozial- und Steuerdumping. Das beeinflusst auch SozialdemokratInnen.

Gegen den Verfassungsvertrag – und für eine „andere EU“ – haben sich zudem andere für die PS wichtige Organisationen ausgesprochen, darunter Gewerkschaften. Zwei weitere für die PS schwer berechenbare Elemente kommen hinzu: die steigende Wahlabstinenz – an den Europawahlen im Juni nahmen 57 Prozent der FranzösInnen nicht teil. Und die Innenpolitik. Mehrfach hat die PS in den vergangenen Jahren Chirac unterstützt, unter anderem bei der Präsidentschaftswahl von 2002 und bei der Ablehnung des Irakkrieges. Bei dem Referendum will PS-Chef Hollande dieses Dilemma vermeiden. Wenn das Referendum zu einer Abstimmung über Chirac gerät, sagt er, stimmen wir mit „Non“. Egal wie die Basis im Dezember entscheidet.