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Archiv-Artikel

„Langsame Karawane“

Der Autokonzern DaimlerChrysler leistet sich einen Zukunftsforscher, um zu wissen, was die Autofahrer von morgen wollen. Der Umweltschutz gehört nicht dazu

Interview TOBIAS ZICK

Thomas Waschke, 50, ist Diplomingenieur und Zukunftsforscher im Bereich „Gesellschaft und Technik“ der DaimlerChrysler-Forschung in Berlin. Dieser Thinktank wurde 1979 unter dem Namen „Verkehr, Umwelt, Zukunft“ gegründet, weil der Konzern damals, zu Zeiten der Ölkrise, nach Denkanstößen suchte, die über die eigentliche Automobiltechnik hinausgehen.

taz: Der Bereich für Zukunftsforschung hat sich unter anderem den „Umweltdiskurs“ auf die Fahne geschrieben. Sind Sie das grüne Gewissen von DaimlerChrysler?

Thomas Waschke: Nein, so ethisch-moralisch definieren wir uns nicht. Wir sind auch nicht die Umweltabteilung, sondern untersuchen das gesamte Unternehmens- und Produktumfeld: Welche gesellschaftlichen Werte werden zukünftig im Vordergrund stehen? Was wollen die Kunden von morgen? Wie entwickelt sich die Verfügbarkeit von Ressourcen? Andere Fachbereiche des Konzerns können uns bei der Entwicklung neuer Fahrzeugtypen oder Marketingstrategien einspannen.

Wie erforschen Sie Zukunftsfähigkeit oder Nachhaltigkeit?

Nicht streng wissenschaftlich wie an der Hochschule, sondern anwendungsbezogen. Kollegen aus verschiedenen Disziplinen, vom Historiker über den Informatiker bis zum Psychologen, tauschen offen Gedanken aus zu den Wechselwirkungen zwischen wirtschaftlichen, technischen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. So ergänzen wir das Know-how der Ingenieure, die ein Automobilkonzern ja hauptsächlich beschäftigt, in deren Ausbildung Themen wie Ressourcen und Nachhaltigkeit jedoch nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen.

Der jährliche Umweltbericht von DaimlerChrysler definiert Nachhaltigkeit eher schwammig: ökonomischer Erfolg des Unternehmens, Schonung von Ressourcen und Umwelt, Verantwortung gegenüber Mensch und Gesellschaft. Was hat der ökonomische Erfolg darin zu suchen?

Die drei Aspekte sind eng miteinander verknüpft. Ohne ökonomischen Erfolg fehlt das Geld, um etwa alternative Antriebstechniken wie die Brennstoffzelle weiterzuentwickeln, oder man versagt beim Erhalt von Arbeitsplätzen. Wir brauchen wirtschaftliche Stärke, sonst wird alles andere zum Problem.

Das heißt: Wenn der Markt immer größere Autos will, wird DaimlerChrysler sie so liefern – im Sinne der Nachhaltigkeit?

So einseitig ist die Nachfrage ja nicht. Aber die Marke Mercedes beispielsweise ist extrem sicheren und komfortablen Fahrzeugen verpflichtet; deren Langlebigkeit ist im Übrigen auch ein Beitrag zum vernünftigen Umgang mit Ressourcen. Das Unternehmen wird nicht plötzlich an seinem Markt vorbeiarbeiten.

In einem Zukunftsszenario beschreiben Sie den Bürger als Umweltfreund, solange er selbst kein Opfer bringen muss: „Die Zahlungsbereitschaft für Belange des Umweltschutzes wird weiter absinken.“ Haben Sie resigniert?

Ich würde es „nachdenkliche Enttäuschtheit“ nennen. Wir stellen immer wieder fest: Der Kunde erwartet den neuesten Stand der Technik, gibt aber zusätzliches Geld nicht für sparsamere Motoren aus, sondern eher für weitere Komfortmerkmale. Wenn man die Gesamtbevölkerung betrachtet, zieht die Karawane sehr langsam …

… und Unternehmen wie DaimlerChrysler ziehen das Tempo auch nicht an: In Kalifornien hat die Autoindustrie kürzlich ein Gesetz ausgebremst, das einen Mindest-Marktanteil abgasfreier Autos festgelegt hätte.

Dort ging es um ganz normale batteriebetriebene Fahrzeuge. Die aber gehen voll am Bedarf vorbei; Reichweite und Kosten stimmen nicht. Wir arbeiten mit Hochdruck an alternativen Antriebskonzepten, aber ehe wir etwas Unreifes auf den Markt bringen, sagen wir: Lasst uns lieber noch eine Schleife ziehen.

Wie viele Schleifen sind denn noch nötig?

Ich verstehe Ihre Ungeduld. Man vergisst leider leicht, entscheidende Zusammenhänge mitzudenken. Stichwort Brennstoffzelle: Auch viele Ingenieure im Haus neigen dazu, bei Innovationen etwa die Zeitabläufe jenseits der rein technischen Entwicklung zu unterschätzen. Wenn wir wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen-Autos einführen wollen, brauchen wir zum Beispiel ein völlig neues Tankstellennetz. Das heißt, andere Branchen müssen mitziehen. Aber darauf haben wir als Automobilhersteller leider nur begrenzt Einfluss. Ein anderes Beispiel: Die extrem sparsame neue Generation von Verbrennungsmotoren ist lange auch daran gescheitert, dass der Schwefelgehalt in Kraftstoffen nicht niedrig genug war und die Mineralölkonzerne sich sehr langsam bewegten.

Wie sieht laut Ihren Szenarien eine zukunftsfähige mobile Gesellschaft aus? Gibt es weniger Verkehr?

Die individuelle Mobilität wird und soll erhalten bleiben, und das Wasserstoffauto wird langfristig eine sehr große Rolle spielen. Weniger Verkehr wird es auf absehbare Zeit nicht geben; das hängt direkt mit anderen Bedürfnissen zusammen. Wenn Sie Mobilität einschränken, müssen Sie überlegen, wie sich das im Privat- und im Wirtschaftsleben auswirkt. Virtuelle Mobilität kann echte Mobilität nicht ersetzen; wer sich im Internet kennen lernt, will sich irgendwann auch treffen.

Interessieren sich die Entscheidungsträger im Konzern überhaupt für Ihre Forschungen?

Wir werden projektbezogen bezahlt, das heißt: Wir bekommen unser Geld nur dann, wenn andere Abteilungen uns gezielt einspannen. Daran sehen Sie, dass das Interesse an uns so gering nicht sein kann.