DIE ARBEITGEBER HEUCHELN IN DER FRAGE DES RENTENALTERS : Paradoxe Politik
Die wichtige Frage in der Gesellschaftspolitik lautet: Wie lässt sich etwas verändern? Beliebt ist der Appell. Wertedebatte! Zum Beispiel: „Männer, geht mal in Teilzeit, kümmert euch mehr um die Familie!“ Oder: „Stellt mehr Ältere ein, die sind nämlich supererfahren!“ Doch je lauter moralisiert wird, desto üppiger wuchern die heimlichen Gedanken: Wenn die Männer weniger arbeiten sollen, dann ist das doch nur ein Trick, um den heiß umkämpften Jobmarkt zu entlasten. Und wenn man die Älteren lauthals anpreisen muss, dann sind die wohl ganz schön abgemeiert auf dem Jobmarkt! Appelle tragen immer ein Paradoxon in sich. Das gilt auch in der Altersdebatte.
40 Prozent der Langzeitarbeitslosen in Deutschland sind älter als 50 Jahre. Wer älter als 55 Jahre ist, hat auf dem Jobmarkt oft kaum noch Aussichten auf eine Beschäftigung. Rente gibt es aber erst ab dem Alter von 65 Jahren. Sozialexperten und die Arbeitgeber wollen das Rentenalter künftig sogar auf 67 Jahre heraufsetzen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt liefert dazu die passenden Appelle: Die Betriebe müssten sich mehr um ältere Arbeitnehmer kümmern und die Wege in die Frühverrentung versperrt werden.
Es ist verrückt, sowas aus dem Mund eines Arbeitgebers zu hören. Hundt will die Lage älterer Arbeitnehmer verschlechtern, die künftig nicht mehr so früh in Rente gehen können, und behauptet gleichzeitig, dass man damit deren Situation in Wirklichkeit verbessere: Seht her, wir zwingen die Betriebe, sich mehr um die Älteren zu kümmern!
Die Realität des Jobmarktes zeigt sich auf den Arbeitsämtern: Dort legen Sachbearbeiter älteren Langzeitarbeitslosen heute nahe, doch bitte so wie früh wie möglich in Rente zu gehen und nicht etwa bis zum 65. Lebensjahr arbeitslos gemeldet zu bleiben. Der frühe Rentenbeginn führt aber zu hohen Abschlägen bei der Rente. Viele 60-Jährige werden deswegen künftig lieber noch ein paar Jahre erwerbslos gemeldet bleiben – obwohl sie wissen, dass sie kaum noch Aussicht auf einen Job haben.
Das ist die Wirklichkeit. Alles andere ist paradoxe Politik. BARBARA DRIBBUSCH