Nach langer Flaute: Scholl ahoi!

Über zwei Jahre war das Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven ohne wissenschaftliche Leitung. Gestern wurde der schon vor langem designierte Lars Scholl zum Direktor ernannt – und muss große Aufgaben meistern

Bremerhaven taz ■ „Wenn ein Schiff vom vierten Steuermann geführt wird, kann es nicht dieselbe Fahrt aufnehmen, als wenn ein Kapitän auf der Brücke steht.“ Mit dieser angemessen maritimen Metapher kommentierte Lars Scholl seine gestern endlich erfolgte Ernennung zum Direktor des Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) – und die somit endlich beendete kapitänslose Schlingerpartie seit dem altersbedingten Ausscheiden von Vorgänger Detlef Ellmers vor zweieinhalb Jahren.

Der Verwaltungsrat des Bremerhavener Forschungsmuseums hatte Scholl schon vor über zwei Jahren zum Nachfolger gewählt. Da die Stelle jedoch erstmals mit einer Professur für Schifffahrtsgeschichte an der Bremer Universität – auch als solche ein bundesweites Novum – verknüpft wurde, musste erst die dortige Berufung Scholls abgewartet werden. Schritt drei, die Ernennung durch den Senat, verzögerte sich abermals. Allem Anschein nach blockierte Bürgermeister Henning Scherf die Amtseinführung des Schiffhistorikers. Schon zur entscheidenden Sitzung des DSM-Verwaltungsrates, dessen Vorsitz Scherf inne hat, hatte er den damaligen Kultursenator Kuno Böse als seinen Stellvertreter offenbar angewiesen, nicht für Scholl zu votieren.

Ein Grund dafür könnte Scholls öffentlich geäußerte Kritik an den mittlerweile gescheiterten Oceanpark-Planungen sein – eine Kritik, die der Bürgermeister seinerseits als „schizophren“ titulierte. Scholls nun doch endlich erfolgte Ernennung war jedenfalls so terminiert, dass Schiff-Fan Scherf in maximaler Entfernung weilte – auf dem Arktis-Segler „Wappen von Bremen“.

Scherf hin, Scherf weg – auf den neuen DSM-Chef warten große Aufgaben. Die 300.000 BesucherInnen, die das Haus in seinen ersten Jahren nach der Eröffnung hatte, sind längst auf 170.000 geschrumpft. Im ersten Halbjahr 2004 habe sich der Trend aber endlich umgedreht, sagt Scholl: „Jetzt wollen wir wieder die 200.000er-Marke knacken.“

Dass dafür ein gründlicher Relaunch wesentlicher Teile der Ausstellung erforderlich ist, weiß der neue Direktor. „Das 19. Jahrhundert wird in zwei Wochen ausgeräumt“, sagt Scholl. Die Abteilung würde neu geordnet und präsentiert. Insgesamt soll es sinnlicher, interaktiver und anschaulicher zugehen. Als „unfair“ beziehungsweise „Frechheit“ empfindet Scholl allerdings Medienberichte wie unlängst einen Beitrag von Radio Bremen, in dem viel von Gammel, Verfall und Lieblosigkeit die Rede war. Scholl: „Natürlich kann man immer irgendwo Rost finden.“ Aber man müsse auch die bereits geleistete Arbeit zur Kenntnis nehmen.

Auch von Seiten der Leibniz-Gemeinschaft steht das DSM unter Druck. In Nachfolge des Deutschen Wissenschaftsrates evaluieren die Leibniz-Leute derzeit die Forschungsarbeit des Hauses. Vom Ergebnis ihrer Gutachten hängt ab, ob die bislang zur Verfügung stehenden gut 1,8 Millionen Euro aus Bundes- und übergreifenden Ländermitteln weiter fließen. Das sind immerhin 40 Prozent des Gesamthaushaltes beziehungsweise die Hälfte der für die 47 DSM-Stellen erforderlichen Personalmittel. Dem Deutschen Museum in München hatte die dortige Leibniz-Evaluation einen spürbaren Aderlass beschert – nicht zuletzt in Bezug auf das Prestige des Hauses.

Scholls lang verzögerte Ernennung hat die Möglichkeiten des DSM, bei seiner Evaluation zu glänzen, erschwert. Die nämlich begann bereits Anfang des Jahres, als das Haus noch ohne wissenschaftlichen Direktor dastand. „Das war eine schwierige Vakuum-Situation“, sagt Scholl. „Keiner wusste so richtig, wie es weitergehen sollte.“

Jetzt aber will der gebürtige Rheinländer, dessen erklärtes Lieblingsthema die Marinemalerei ist, das Ruder fest in die Hand nehmen und „die anderen mitreißen“. Schwung in dem nun 30 Jahre bestehenden Haus ist auch unerlässlich, um die sich abzeichnende Konkurrenzsituation mit Hamburg zu meistern. Dort hat der ehemalige Springerverlagsvorstand Peter Tamm 30 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln erhalten, um seine gewaltige maritime Privatsammlung der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Henning Bleyl