: Von Anarchie bis Art
Karl Ulrich Walterbach war ein Punk – und ist es auch als Sammler bis heute geblieben. Vor allem Kunst gegen den Strich fasziniert ihn, oft sind es ostdeutsche Künstler
„Hausbesetzer der ersten Stunde in Kreuzberg“ sei er gewesen und „immer noch Anarchist!“ Karl Ulrich Walterbach erzählt mit hörbarem Stolz von seinen wilden Jahren, als Kreuzberg noch SO36 hieß. Dass er heute einer der ambitionierten Kunstsammler Berlins ist, macht da erst mal stutzig. Doch erklärt er seine Suche nach künstlerischen Positionen aus seinem Interesse an Provokation und Widerspruch gegenüber dem herrschenden Gesellschaftsideal.
Vor der Spießigkeit der westdeutschen Provinz in die Berliner Oase der Subkultur geflohen, lebte er Ende der 70er-Jahre den Punk. Und produzierte ihn auch. Aggressive Rockproduktionen hieß das Label, das Walterbach für den rebellischen Sound der Konsensverweigerung gründete.
Seine subversive Grundeinstellung hinderte Walterbach nicht, auch ökonomisches Talent zu beweisen. Mitte der 80er-Jahre sattelte er mit seinen neuen Plattenfirmen Noise und Modern Music auf Heavy Metal um. Mit der Trash-Band Helloween hatte er dann auch zunehmend wirtschaftlichen Erfolg und legte den Grundstein für seine Sammlung, die er für den Kunstherbst Berlin 04 der Öffentlichkeit präsentiert.
Mehr als 120 Arbeiten umfasst Walterbachs Kollektion. Gern stellt er seine Werke als Leihgaben für Ausstellungen zur Verfügung, um den Künstlern die Öffentlichkeit zu geben, die sie verdienen. Dabei ist seine Sammlungsstrategie klar umrissen. Künstler, die gegen den Strich laufen, interessieren ihn. Solche, die soziale und politische Utopien haben und diese in ihrer Arbeit auszudrücken verstehen. Den „Mut zum aufrechten Gang“ findet er besonders bei einer Generation ostdeutscher Künstler, die er nach der Wende kennen lernte. Die Denkwelten von Via Lewandowsky kommen ihm am nächsten.
Der Dresdner Maler und Performancekünstler wurde dem Berliner Publikum zum Jahreswechsel 1989/1990 durch eine Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst NGBK bekannt. In der DDR gehörte Lewandowsky zur Gruppe der so genannten Autoperforationsartisten, die mit vermeintlich selbstzerstörerischen Aktionen die ostdeutsche Kunstszene aufmischten. In kreativer Zusammenarbeit mit dem Lyriker und Schriftsteller Durs Grünbein entwirft er böse Märchen, die er aus der medialen Reizüberflutung ersinnt. Reproduktive Malerei nennt Lewandowsky sein Projekt, in dem er historische wissenschaftliche Abbildungen neu zusammenstellt und verfremdet.
Die großformatigen grafischen Malereien setzen nicht nur dem propagandistischen Menschenbild des sozialen Realismus der DDR sein persönlich empfundenes Zerrbild entgegen. Vielmehr stellt Lewandowsky den Wahrhaftigkeitsanspruch des Gesehenen mit seinen provokanten und mehrdeutigen Bildern ständig infrage.
Trak Wendisch, dessen Skulpturen und Gemälde ebenfalls in Walterbachs Sammlung zu finden sind, fiel in der Endphase der DDR durch provozierendes Verhalten auf. Dass er sich in der Malereitradition von Grünewald bis Beckmann sah, sprengte die Vorstellungen der Staatskunst. Mit einer solchen Aussage stellte er sich eher in den Kontext der Jungen Wilden. Auf der Bühne der zeitgenössischen Kunst ist er mit seinen expressiven Plastiken und schrillen Bildern ein anachronistischer und damit von Walterbach umso mehr geschätzter, eigenwilliger Einzelgänger.
In aller Munde dagegen sind die Brüder Olaf und Carsten Nicolai. Besonders Letzterer ist mit mehreren Werken in der Sammlung Karl Ulrich Walterbachs vertreten. Der Grenzgänger Carsten Nicolai pendelt zwischen bildender Kunst und Klanginstallation. Er produziert elektronische Frequenzen und beobachtet, wie diese sich gegenseitig stören. Nicolai fasziniert die unmittelbare Transformation von Sound in Form. Am Videomonitor macht er diese Wandlung sichtbar, aber auch im klassischen Tafelbild oder in dreidimensionalen Objekten.
Punk war die Lifestyle gewordene Störung des Systems. Diese anarchistische Attitüde übertragen auf die Motivation, eine Kunstsammlung aufzubauen, stellt der diesjährige Kunstherbst mit Karl Ulrich Walterbach in seiner Reihe „Parcours“ vor. MARCUS WOELLER