: Afghanistan-Handbuch
Eine Reisebuch der anderen Art: ein praktischer und politischer Wegweiser durch vermintes Land
VON SVEN HANSEN
Zahlreiche Ausländer kommen nach Afghanistan. Sie kommen nicht wie in den 1970er-Jahren als Drogenabenteuer suchende Hippies, sondern als humanitäre Helfer, Krisenreporter, Regierungsberater oder Soldaten der internationalen Isaf-Truppe. Suchten diese neuen Reisenden bisher Länderinformationen jenseits politikwissenschaftlicher Fachbücher, so fanden sie bestensfalls veraltete Reiseführer aus den 70ern. Oder sie stießen auf die Afghanistan-Karte von Nelles, die zwar Sehenswürdigkeiten kennzeichnet, aber in ihrer Legende auch lapidar bemerkt: „Achtung: Aufgrund vieler Jahre des Krieges wurden ein Großteil von Kabul und viele Gebiete des Landes zerstört.“
Da heutige Afghanistan-Reisende schon aus Gründen der Sicherheit dringend auf fundierte Informationen angewiesen sind, haben die Briten Edward Girardet und Jonathan Walter ihr bereits 1998 herausgegebenes und seit einiger Zeit vergriffenes Afghanistan-Handbuch grundlegend überarbeitet. Girardet begleitet den Afghanistankonflikt als Reporter seit 1979 und leitet die Organisation Media Action International, Walter war selbst früher Offizier einer britischen Gurkha-Einheit und macht seitdem Pressearbeit für Hilfsorganisationen. Ihr 540-seitiges Handbuch ist das ausführlichste Kompendium über alle wichtigen Aspekte des Arbeitens und Überlebens für Ausländer in Afghanistan.
Das Buch unterscheidet sich von gewöhnlichen Reiseführern vor allem darin, dass es einen wesentlich ausführlicheren politischen und sozialen Kontext vermittelt und sich überblickartig mit den Bereichen beschäftigt, in denen die Ausländer höchstwahrscheinlich tätig sein werden: Flüchtlingsarbeit, Entminung, Landwirtschaft, Diplomatie oder Medien. Ansonsten widmet sich das Handbuch immer wieder Sicherheitsfragen. Die reichen von Warnungen vor Minen bis hin zu Hinweisen, wie Entführungen vermieden werden können oder Entführungsopfer sich verhalten sollten.
Im 130 Seiten umfassenden politischen Einführungs- und Hintergrundkapitel beschäftigen sich die Autoren, darunter so bekannte Koryphäen wie Ahmed Rashid, mit Fragen wie den ausländischen Interventionen, humanitärer Hilfe, den Taliban, dem Schicksal von Flüchtlingen oder der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung. Dabei überwiegen insgesamt skeptische Einschätzungen, was die jüngsten Entwicklungen betrifft. Der zweite Teil trägt auf 150 Seiten Daten und Fakten zu einzelnen Sektoren wie etwa der Wirtschaft, dem Drogenanbau, dem Bildungssektor oder der Kultur zusammen. Ergänzt wird dies durch Kurzporträts der wichtigsten politischen Akteure.
Außer in den Datenbanken der relevanten UN-Organisationen gibt es kaum ein Buch, das so viele Daten zu Afghanistan zusammengetragen hat wie dieses. Die zweite Hälfte des Buchs enthält dann auch eher die Informationen, die einen herkömmlichen Reiseführer ausmachen, also Infos über An- und Abreise, Unterkünfte und Restaurants, Verhaltensempfehlungen, Stadtpläne und Minisprachführer für Dari und Paschtu. Darin enthalten ist auch ein ausführlicher Adressteil, in dem zum Beispiel die in Afghanistan aktiven Nichtregierungsorganisationen kurz charakterisiert, aber auch Hinweise auf relevante Webseiten gegeben werden.
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass hier erfahrene Journalisten Zugang zu ihren Adress- und Notizbüchern gewähren. Das Buch ist nützlich für alle, die sich aus welchen Gründen auch immer mit dem Land beschäftigen und systematisch aufbereitete Informationen suchen.
Edward Girardet, Jonathan Walter (eds.): „Crosslines Essential Field Guide to Humanitarian and Conflict Zones: Afghanistan“. Media Action International, 546 Seiten, 29,95 US-Dollar