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Archiv-Artikel

Die Frankfurter Hegemonie

Zwischen Klassizismus und Krachmacherei: Auf einer Tagung in Halle fanden die Übriggebliebenen der deutschen Feuilletons zum Selbstgespräch zusammen, um über den Paradigmenwechsel auf den Kulturseiten ihrer Zeitungen zu räsonieren

Manche beschleicht darum der Weltekel, sie fordern den Willen zur Dissidenz

von DIRK KNIPPHALS

Auf dem Nachbargrundstück der taz wächst derzeit ein großes Gebäude. Die Mär geht, dass hier ein neues Arbeitsamt entstehen soll, und der Blick des Kulturredakteurs schweift mehrfach am Tag unwillkürlich aus dem Fenster und zur Baustelle hin – so viel zur Motivation, an einer Tagung teilzunehmen, die sich mit dem Feuilleton innerhalb seiner schwierig geworden Rahmenbedingungen beschäftigen wollte. Zeitungskrise, Sie wissen schon.

Die Tagung fand nun also am vergangenen Wochenende in den Gebäuden der Franckischen Stiftungen in Halle statt, konzipiert von dem SZ-Literaturchef Thomas Steinfeld, finanziert von der Bundeskulturstiftung. Viel feuilletonistische Prominenz war unter den etwa 130 Teilnehmern vertreten. Beim Abendempfang begrüßte sie die Hallenser Obenbürgermeisterin mit den Worten: „Halle ist eine schrumpfende Stadt. Sie beschäftigen sich ja mit einem ähnlichen Thema.“ Großes Gelächter der Umstehenden. Und es stimmt ja: Halle hat in den vergangenen Jahren ein Drittel seiner Einwohner verloren, der Verlust der großen deutschen Feuilletons an Seiten und Stellen geht in eine ähnliche Dimension.

Es ist dann aber doch kein Klagekongress geworden. Schließlich hat der Anzeigenrückgang den Seitenschwund zu verantworten – traurig, aber da kann man nichts machen.

Viel zu analysieren gibt es da nicht, und der Wunsch nach therapeutischem Austausch über den Ernst der Lage hielt sich in Grenzen. Der Schriftsteller Georg Klein diagnostizierte zwar „Schwundschmerzen“, sprach damit aber keineswegs für alle.

Ursula März von der FR meinte, auch die übrig bleibenden Feuilletonseiten seien doch recht viele. Festzuhalten bleibt, dass die Feuilletons in etwa auf den Stand der Achtzigerjahre zurückgefahren wurden. Damals jedenfalls konnte man wohl recht gut damit auskommen. Das katastrophische Szenario, das Thomas Steinfeld in seinem Einladungstext skizziert hatte – er hatte von einem Strukturwandel der kritischen Öffentlichkeit infolge des Anzeigenrückgangs geschrieben –, konnte sich nicht durchsetzen.

Der Zeit-Feuilletonchef Jens Jessen sprach gar von einer Gesundschrumpfung und freute sich darüber, dass er so die Ausrede des geringen Platzes habe: Wenn er über mehr Raum verfüge, müsse er einem Autor, dessen Text er nicht drucken wolle, möglicherweise die Wahrheit sagen: Damit war das Thema durch. In Halle tagten erkennbar die Übriggebliebenen: Die in den vergangenen Monaten entlassenen Kulturjournalisten fehlten.

Was Halle stattdessen war (außer selbstverständlich auch ein Betriebsausflug und eine Klassenfahrt): eine Art Fachkongress für Feuilletonistik, mit allem Leerlauf, allen Eitelkeiten und interessanten Momenten, klugen Debattenbeiträgen und langweiligen Streitereien, wie sie auf jedem Fachkongress dazugehören. Man tauschte sich über die Grundlagen seines Tuns aus, ohne große Systematisierungsleistungen und mit wechselnden Prämissen: „Mehr bildungsbürgerlicher Enthusiasmus ist nötig!“, meinte etwa gegen Schluss der Veranstaltung Tillmann Krause von der Welt. „Dürre Zeiten“ fürs Feuilleton hatte zuvor der Soziologe Heinz Bude prophezeit. Und Moritz Baßler hatte zwischendurch über die Fähigkeiten des Feuilletons zur „Erstvertextung“ von Gegenwartsereignissen nachgedacht. Solche Themen blieben nebeneinander stehen. Wirklich überzeugen konnte ohnehin keiner keinen.

So arbeitete man die jüngere Vergangenheit auf – Wissenschaftsfeuilleton, Popfeuilleton etc. –, wobei Begriffe wie Selbstbespiegelung oder Ähnliches zwar durchaus fielen, dann aber irgendwann einfach nicht mehr vorkamen. Ob aus Erschöpfung oder weil sich die Einsicht durchsetzte, dass miteinander übereinander reden ja zur täglichen Arbeit gehört (wenn auch kaum in einer solchen Konstellation), sei dahingestellt. Es war jedenfalls, sagten alle, die erste Feuilletontagung dieser Art überhaupt.

Was die Tagung aber unbedingt brachte: Einblicke in die Rahmenbedingungen des derzeitigen feuilletonistischen Diskurses. Wirklich schlagend vor allem, einmal wirklich anschaulich vor Augen geführt zu bekommen, wie stark der Einfluss der FAZ-Schule allein schon vom Personal her ist. Sobald deutsche Chefredakteure in den Neunzigern einen Feuilletonchef brauchten, haben sie sich offenbar bei der FAZ bedient, aus welchem Grund auch immer. So verzeichnet das Notizheft am Tagungsbeginn nacheinander Aufzeichnungen zu Ausführungen von Thomas Steinfeld (ehemals FAZ, heute SZ), Stephan Speicher (ehemals FAZ, heute Berliner Zeitung), Harald Jähner (dito), Eckart Fuhr (ehemals FAZ, heute Welt), Patrick Bahners (immer noch FAZ), Jens Jessen (ehemals FAZ, heute Zeit) und Gustav Seibt (ehemals FAZ, ehemals Berliner Zeitung, ehemals Zeit, heute SZ).

Aufgrund von externer Wertschätzung und internen Auseinandersetzungen hat das Frankfurter Verlagshaus bekanntlich sein Personal über die ganze Republik gestreut. Diese Dominanzeffekt machte sich in Halle in einem Moment ganz plastisch bemerkbar: Als die Kampagne der FAZ gegen den Publizisten Klaus Harpprecht angesprochen wurde, nahm sich Patrick Bahners eine halbe Stunde Zeit, um die Schirrmacher-Kritiker zu beschimpfen und die Runde zurechtzuweisen. Aus dem Auditorium waren dann murrende Worte wie „hegemonialer Diskurs“ zu vernehmen.

Tatsächlich dauerte es ziemlich lange, bis sich die Tagung vom Charakter eines Gesprächs im Hause Francke über den abwesenden Herrn Schirrmacher löste. Auch wenn erst Heinz Bude als siebenter Redner auf dem Podium den Namen wirklich aussprach, war der FAZ-Herausgeber schon vorher deutlich der Hintergrund vieler Beiträge gewesen – egal, ob Eckart Fuhr den feuilletonistischen Kampagnenjournalismus als „Sündenfall“ bezeichnete oder ob Patrick Bahners das Debattenfeuilleton verteidigte. Jeder wusste, wer gemeint war, wenn Worte wie „Krachmacherei“ oder „aufs Blech hauen“ fielen: Schirrmacher, wer sonst?

Das politische Feuilleton, so sehr es auch den täglichen Feuilletonüberblick etwa des Internet-Magazins Perlentaucher.de dominiert, kam bei alledem nicht so gut weg. Schnelle Heiterkeit ließ sich etwa damit erzielen, die Nöte eines Feuilleton-Ressortleiters auf Redaktionskonferenzen zu schildern, auf denen heiße Themen wie Effenberg, Kokain oder die Rente behandelt werden und der Chefredakteur sich dann rüberbeugt mit der drängenden Frage: „Und was meint das Feuilleton dazu?“

Bei Themen wie Koks und Effenberg gilt heute das Feuilleton als allzuständig

Fast hätte man den Eindruck gewinnen können, als sei der tagesgebundene Kurzessay, den derzeit viele Feuilletons pflegen, nur ein ihm von außen aufgezwungenes Phänomen und als wollten die Feuilletonisten selbst am liebsten zur ernsthaften Betrachtung von Kunstwerken zurück, zum Rezensionsfeuilleton.

Und warum auch nicht? Nur, dass sich bei solchen Ausführungen unter der Hand oft die alte E- und-U-Unterscheidung wieder einschlich: So, als könne man nicht auch Phänomene der Massenkultur ernsthaft analysieren und als würde allein eine Art Klassizismus vor der Krachmacherei bewahren.

Schade, dass in der Debatte die Eindrücke von Ina Hartwig, der Literaturchefin der FR, so untergingen. Sie zeigte, dass auch eine bestimmte Perspektive auf ästhetische Dinge durchaus politisch sein kann. Die Weigerung der neuen Generation von FR-Kulturredakteuren, sich bei ästhetischen Analysen desselben höheren Nichteinverstandenseins à la Adorno zu bedienen, in denen sich die Leserschaft dieser Zeitung so bequem eingerichtet hat, sie hatte an diesem Haus vor etwa drei Jahren zu einer Abo-Kündigungswelle geführt. Auch die altehrwürdige Ansicht, dass die schöne Kunst per se gegen die schlechte Wirklichkeit gerichtet ist, darf man auch nach Halle getrost als hegemonialen Diskurs bezeichnen, so altbacken sie auch ist.

In puncto Nichteinverständnis machte Jens Jessen am Ende sogar ein Fass auf. Was der Feuilletonchef der liberalen Wochenzeitung ausführte, darf man in seiner Summe getrost als antiliberale Volte beschreiben. Er polemisierte gegen den „Normalbürger“, verteidigte das Feuilleton als „querulatorischen Außenseiter in einer normalisierten Gesellschaft“ und betonte seinen „Willen zur Dissidenz“ gegen den Unfug des Zeitgeistes. Getrieben von Moritz Baßlers Ausführungen zu Popliteratur und Popfeuilleton, ließ sich Jessen zudem zum Ruf hinreißen, er empfinde „Ekel, Hass und Verachtung“ gegenüber der gegenwärtigen Gesellschaft. Wortwörtlich: „Ekel, Hass und Verachtung“. So ließ sich in Halle also auch erfahren, dass es gar keiner Wende zum Wissenschaftsfeuilleton, politischen Feuilleton oder wozu auch immer bedarf, um aufs Blech hauen zu können. Ein sich aggressiv und elitär gebender Kulturfundamentalismus kann das auch.

Ob Heinz Bude so eine Einstellung gemeint hat, als er in seinem Beitrag vom „Ende des Endes der Kulturkritik“ sprach? Wohl kaum. Denn während Jens Jessen sich von der Gegenwart abwenden will (wie immer das gehen soll), vermisste Bude gerade ein differenziertes Hingewendetsein des Feuilletons zur Gegenwart. Er klagte Reportagen und Analysen ein, die zeigten, wie seltsam und unerklärlich die Gesellschaft manchmal funktioniert und wie kompliziert sie ist. Vom Feuilleton, so Bude, wolle er etwas über das „Mysteriöse der Gesellschaft“ erfahren. Damit markierte Bude gleichsam im Vorübergehen die genaue Gegenposition zu Kunstkonservatismus und Gesellschaftsverachtung. Vielleicht kann man ja das nächste Mal darüber reden.