: Die Letten stimmen für Europa
Eine deutliche Mehrheit votiert bei einer Volksabstimmung für einen Beitritt zur Europäischen Union. Wegen eines Streits über den Antikorruptionskampf verlässt die rechtskonservative „Erste Partei“ die Koalition und löst damit eine Regierungskrise aus
von REINHARD WOLFF
Deutlicher als selbst von der Ja-Seite erhofft, sprachen sich am Samstag die LettInnen in einer Volksabstimmung mit Zweidrittelmehrheit für einen EU-Beitritt ihres Landes aus. Damit ist die Serie von Volksabstimmungen in den Beitrittsländern vorbei, und die Union kann am 1. Mai 2004 um zehn Staaten erweitert werden. Neben Lettland sind dies Estland, Malta, Slowenien, Ungarn, Litauen, Polen, Tschechien, Zypern und die Slowakei.
Nahezu alle lettischen PolitikerInnen hatten für ein Ja plädiert, ebenso die meisten Medien. Diena, größte Tageszeitung, hatte am Freitag in einer Grafik die Alternative für Lettland dargestellt: Ein kleiner weißer Fleck zwischen der blauen EU und dem roten Russland. Nur 32,3 Prozent der LettInnen zogen diese Zukunft vor. Der größte Teil der russischen 30-Prozent-Minderheit durfte nicht abstimmen. Von den Stimmberechtigten gingen 72,5 Prozent zur Wahl.
Lettlands Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga, die selbst ein Ja propagiert hatte, zeigte sich hoch zufrieden über das klare Ergebnis und lobte den „klugen Beschluss“: „Das ist ein Erfolg für das ganze lettische Volk.“ Ministerpräsident Einars Repse sprach von einem historischen Moment für Lettland, den er mit der Erringung der Selbstständigkeit des Landes von der Sowjetunion verglich: „Wir werden eine wichtige Rolle in der EU spielen.“
Ob Repse selbst zum Zeitpunkt des EU-Beitritts noch sein Amt innehaben wird, wurde demgegenüber noch in der Wahlnacht fraglich. Ein Regierungspartner in seiner jetzigen Vierparteienkoalition, die rechtskonservative „Erste Partei“ kündigte kurz nach Schließung der Wahllokale die Zusammenarbeit mit Repse auf. Mit der EU-Frage hat diese Regierungskrise aber nichts zu tun. Man habe diese Entscheidung schon länger getroffen, wollte aber das Referendum nicht gefährden, erklärte der Parteivorsitzende der „Ersten Partei“, Eriks Jekabsons.
Ein Streitpunkt zwischen der „Ersten Partei“ und dem Regierungschef gilt der Ausgestaltung des Antikorruptionskampfs – dem politischen Schwerpunkt, mit dem Repse die Wahlen gewonnen hatte. Jekabsons warf Repse Selbstherrlichkeit und einen autoritären Führungsstil vor, der das Land in eine Diktatur zu verwandeln drohe. Die Krise hatte sich abgezeichnet, als der Premier am Donnerstag letzter Woche eine Abstimmungsniederlage im Parlament erlitt, das seiner Kandidatin für die Leitung der Antikorruptionsbehörde die Zustimmung verweigerte. Repse warf der „Ersten Partei“ nun vor, sie verfolge nur „ihre eigenen korrupten Interessen“.