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Archiv-Artikel

Fünfzig Cent vom St. Martin

Gestörte Kommunikation im Konfettiregen: 50 Cent ließ in der Arena Frauen weinen, Kakerlaken kriechen und Schüsse fallen – alles sehr „real“ und gleich im Dutzend. Wie die T-Shirts, die er unermüdlich auszog, um sie im Publikum zu entsorgen

Die beruflichen Anforderungen an einen Gangsta-Rapper werden dieser Tage immer höher – noch nie war real sein so aufreibend wie heute. Reichte es vor fünf Jahren noch völlig aus, im Getto geboren zu sein und eine schwere Kindheit überlebt zu haben, liegt heute die Messlatte um einiges höher.

In dieser Authentizitätsspirale verkörpert nur noch der Tod die absolute Realness, die der Betroffene dann aber nicht mehr selbst erleben kann – ein schier unauflösbarer Widerspruch.

50 Cent ist eigentlich nicht zu toppen: Er wurde in eine Crackverkäuferdynastie hineingeboren, wuchs nach dem gewaltsamen Tod der Mutter in Queens bei der Großmutter auf, verdiente sich als Kind schon das erste Drogengeld. Neun Kugeln und einen Messerstich musste sein 26-jähriger Körper aushalten.

Und doch wurden im Vivatext, dem CNN des weißen Teenagers, Gerüchte laut: 50 Cent sei nie im Gefängnis, sondern nur in einer Besserungsanstalt gewesen, und auch an den heroischen neun Schüssen wurde da gezweifelt. Seit er, von Eminem gefeatured mit „Get Rich Or Die Tryin“ und den von Dr. Dre gebastelten Beats unermesslich viele Platten verkaufte, ist sein Leben nicht ruhiger geworden – auf Tour ist er angeblich mit gepanzerter Limousine, Leibwächtern und kugelsicherer Weste unterwegs.

In der Arena haben sich am Sonntagabend nur wenige finster blickende Gangstercliquen eingefunden, es herrscht vielmehr entspannte Schulhofatmosphäre in der Halle, ein Murren kommt nur auf, weil das lange Warten ermüdet. Zur Beruhigung der Massen werden CDs, Schlüsselbänder und Plakate, auf denen 50 Cent und ein weißer Turnschuh zu sehen sind, von der Bühne aus verschenkt.

Endlich geht mit einem lauten Knall der Vorhang auf und die Skyline New Yorks, mit Freiheitsstatue und Chryslerturm, tut sich auf, der Dj residiert im abgesägten Empire State Building. Auf den großen Videoleinwänden erscheint ein geschniegelter Dean Martin und hebt zu „New York, New York“ an. Dazu sieht man Schlittschuh laufende blonde Pferdeschwanzmädchen im Central Park, Weihnachtsstimmung am Rockefeller Center, süße schwarze Kleinkinder, glückliche Passanten in der 5th Avenue.

Dann fällt eins Schuss – es wird nicht der letzte gewesen sein – Dean Martin stürzt blutüberströmt ab, und zu extremem Basswummern und harten Beats sieht man Bilder eines anderen New York: Explosionen, Schießereien, Kakerlaken, Ratten, Drogenküchen, weinende Frauen, brennende Autos, faulende Junkiearme. Beim nächsten großen Knall springt 50 Cent auf die Bühne und legt los, unterstützt von seiner G-Unit-Crew.

Schon bald entblättert er etwa drei Lagen T-Shirts, wirft sie in die Menge und legt unter Jubel seine blütenweiße schusssichere Weste und das letzte Unterhemd ab. Der begnadet-geschundene Körper zeigt keine Einschusslöcher, aber die Folgen exzessiven Bodybuildings. „Berlin, what’s up?“ und „Ok!“ heißt es fortan alle 30 Sekunden.

Live ist sein besonderer Stil, das elegant nachlässige akzentuierte Nuscheln, der spezielle, angenehm leiernde Flow leider nicht auszumachen. Sein Rappen wird zum Skandieren und wirkt eben nicht cool und beiläufig, sondern angestrengt, vermischt sich mit den Einwürfen der G-Unit-Crew zum bloßen Geschrei. Wegen des recht extremen Basswummerns versteht man ihn akustisch auch schwer, darunter leidet wiederum die Kommunikation mit dem Publikum.

Deshalb werden die „Fucking lighters“ nicht zur rechten Zeit angeturnt, die „When-i-say-X-than-you-say-Y-Spiele“ kommen nur schwerfällig in Gang. Aber dafür ist ja visuell einiges geboten, loderndes Feuer, Explosionen und andere pyrotechnische Raffinessen. Beim Partylied „In da Club“ – es geht um Champagner, Ecstasy, Pistolen, Pools, Juwelen, aber auch um die berühmte Schussverletzung – erfreut ein steubenparademäßiger Konfettiregen das Publikum.

Die Videoleinwände zeigen nicht nur 50 Cent live in Großaufnahme und 50 Cent im Video, sondern auch Videoszenen von Tupac und Notorius B.I.G. Ist das eine Grußadresse an die bereits im Rapperhimmel angekommenen?

Man weiß es nicht, die ständig eingeblendete Turnschuhreklame erschwert die echte Anteilnahme ein wenig. 50 Cent kommt und rappt und geht und muss sich ständig umziehen, weil er ständig seine Kleider verschenkt. Nach einer Stunde ist die Show zu Ende; es war irgendwie ein Erlebnis, wenn auch kein akustisches.

Was bleibt, ist der Eindruck von 50 Cent als wandelnder Kleiderkammer: Während des kurzen Aufritts hat er mindestens dreimal drei Lagen T-Shirts, zwei Basecaps, zum Schluss sogar die Schuhe und den strassbesetzten Gürtel in sanktmartinhafter Freigiebigkeit ins Volk geworfen.

CHRISTIANE RÖSINGER