: Unerwünschte Helfer
Auch Rechtsextreme nutzen den Protest gegen Hartz. Manchen Demokraten fällt Abgrenzung schwer
VON DANIEL SCHULZ
In Freital gibt es heute keine Montagsdemo. Wegen der Neonazis. Zwei Mal waren sie dabei, zogen mit ihren Flaggen und Parolen durch die sächsische Kleinstadt. „Ich hab alles abgeblasen, das waren zu viele“, seufzt Ingeborg Weber. Die Blumenhändlerin hatte die ersten Demos angemeldet, nun sieht sie sich „an den Menschen gescheitert“.
Freital ist ein gutes Beispiel dafür, wie Rechtsextreme versuchen, die Anti-Hartz-Demos für sich zu nutzen. „Wir selbst müssen uns an die Spitze des beginnenden Volksaufstandes stellen“, schreibt der bekannte Neonazi Gerd Ittner auf seiner Webseite. Bei wie vielen Demos Rechte dabei sind, ist schwer zu sagen, weil sie meist nicht offen als Anmelder auftreten. Aktivisten der Szene fordern vielmehr dazu auf, „Demonstrationen indirekt zu leiten“. Zu ihren eigenen Aufmärschen kommen die normalen Leute meist nicht, das wissen die Rechten. Also kommen sie dahin, wo die normalen Menschen demonstrieren. Und dienen sich an – als Helfer. Sie haben oft Erfahrungen, wie man Proteste organisiert, aus ihrem „nationalen Kampf gegen das System“.
Vielen der Demo-Organisatoren fehlt diese Erfahrung. Oft wissen sie nicht einmal, wo sie ein Megafon herbekommen sollen. Ingeborg Weber hatte keine Ahnung, dass sie Ordner braucht. Thomas Jaeckel bot sich an, zu helfen. Er ist Stadtrat in Freital, und Weber dachte, „der ist ein respektabler Mann“. Jaeckel ist außerdem noch Republikaner. Weber wusste auch das, stellte ihn aber dennoch als Ordner ein. Ihr ging es „um die Sache“.
Die Sache, das war für die einen Hartz IV – 300 Menschen protestierten am 16. August in Freital. Zwischen ihnen verteilten NPD und Republikaner Flugblätter – für ihre Sache. Wütende Freitaler protestierten und forderten, die Rechten auszuschließen. Das tat Weber nicht. Sondern verbat für die nächste Demo sämtliche Werbung. Die Rechten waren für sie nicht das Problem, sondern dass sie einer Partei angehörten. Parteien sind für sie so ziemlich alle gleich, alle versuchten, die Menschen vor der Landtagswahl am 19. September zu manipulieren. Weber sagt: „Der Jaeckel und seine Leute haben ja nichts Schlimmes gemacht.“
„Gegen diese Gruppen hilft nur konsequente Abgrenzung“, sagt Heike Kleffner. Die Rechtsextremismus-Expertin arbeitet derzeit für die Mobile Beratung der Opfer rechtsextremer Gewalt in Magdeburg. „Für Rechte gibt es nichts Motivierendes als das Gefühl, unbehelligt in der normalen Menge mitlaufen zu können“, sagt Kleffner. „Dann fühlen sie sich, als ob sie dazugehören.“
In Freital hatten sie wohl das Gefühl. Fast alle 150 Demonstranten der zweiten Demo am 21. August waren angereiste Rechte. Aus den NPD-Plakaten war das Parteilogo herausgeschnitten, doch die rot-weißen Schilder erkennt in Sachsen jeder. Die NPD tritt in hier als einzige rechte Partei an, man hat sich mit der DVU abgesprochen, die dafür allein in Brandenburg antreten darf.
Umfragen sagen den Rechten in Sachsen und Brandenburg bereits bis zu 4 Prozent voraus.
Der örtliche PDS-Kreischef Frank Neubert hofft jetzt, dass die Montagsdemos in Freital ein Ende haben, damit die Rechten nicht wiederkommen. Eine eigene Demo anmelden will er nicht: „Die Leute würden das nur als Parteitheater sehen.“
Parteien und auch Gewerkschaften ziehen sich an vielen Orten zurück, weil sie wissen, dass sie bei den Montagsdemos nicht wohlgelitten sind. Oder sie gehen ungewollte Bündnisse ein.
Im sachsen-anhaltinischen Köthen etwa demonstriert die DGB-Kreischefin Brunhild Albrecht zusammen mit einer Bürgerinitiative, die von einem Rechten gegründet wurde. „Eine bescheuerte Situation“, entschuldigt sich Albrecht. Als sie im Urlaub war, hatte der Republikaner-Stadtrat Mirko Theodor die erste Demo angemeldet, zusammen mit einem arbeitslosen Nachbarn. Sie marschierten hinter einem Plakat, auf dem stand „Wir kennen keine Parteien mehr, wir kennen nur noch Deutsche“.
Albrecht meldete beim nächsten Mal eine alternative DGB- Demo an, sie demonstrierte am Montag, die Rechten am Mittwoch. Der DGB habe 200 Leute auf die Straße gebracht, schrieb die örtliche Zeitung, der Republikaner die doppelte Zahl. Albrecht demonstriert jetzt wieder mit ihm zusammen. Sie hat durchgesetzt, dass die rechten Spruchbänder verschwinden und die Flugblätter. Und trotzdem: „Ich fühle mich absolut mies“, sagt sie, „aber man darf den Rechten nicht das Feld überlassen.“
Beim DGB Sachsen-Anhalt weiß man, was in Köthen läuft. „Wir sehen uns als Sozialarbeiter“, sagt ein Sprecher. Man habe aufmerksam gelesen, dass DGB-Bundeschef Michael Sommer gefordert hatte, die Montagsdemos nicht zu unterstützen – unter anderem mit der Begründung, Rechte könnten den Protest nutzen. „Es gibt keinen Dissens“, sagt Becker, „aber wer fordert, dass sich die Gewerkschaften nicht die Finger schmutzig machen sollen, sieht die Realität nicht.“ Und die ist wohl, dass die Rechten es in einigen Orten geschafft haben, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Dieses Problem wurde durch Hartz IV nicht geschaffen, aber verschärft.