Merz verliert im Stellvertreterkrieg

Chaos in der CDU kurz nach der Bayernwahl: Fraktionsvize Friedrich Merz schimpft über Gesundheitsreform, droht mit Rücktritt und kriegt zur Strafe das schlechteste Ergebnis bei der Vorstandswahl. Schäuble und Merkel gestärkt. CSU schaut amüsiert zu

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Angela Merkel hat Edmund Stoiber übertrumpft. Eine Zweidrittelmehrheit? Lächerlich. Die CDU-Vorsitzende holte gestern sage und schreibe 93,7 Prozent in Berlin – allerdings nur bei ihrer Wiederwahl als Fraktionschefin der Union im Bundestag. Stoiber ließ es sich dennoch nicht nehmen, Merkels persönlichen Erfolg sofort zu relativieren. „Ich habe Frau Merkel vorgeschlagen“, stellte der CSU-Chef klar, der aus München angereist war.

Die von Stoiber protegierte Merkel freute sich trotzdem über ihr Ergebnis, das sogar ein bisschen besser ausfiel als bei ihrer ersten Wahl 2002. Sie redete von einem „schönen Moment“ und versprach, die Zusammenarbeit mit der CSU „so erfolgreich wie im vergangenen Jahr fortzusetzen“. Auch ihre Stellvertreter wurden alle im Amt bestätigt. Wolfgang Bosbach bleibt der Primus mit 96 Prozent Zustimmung. Wolfgang Schäuble steigerte sich von 77,3 auf fast 84 Prozent und bleibt damit im Rennen um das Bundespräsidentenamt. Auch Friedrich Merz, der vorher für Ärger gesorgt hatte, darf weitermachen – wenn auch mit dem schlechtesten Ergebnis aller Stellvertreter (73 Prozent). Also alles paletti in der Union? Friede, Freude, Kirschkuchen? Nicht ganz. Die Fraktion hatte sich nur zusammengerauft, um das Schlimmste zu verhindern. Das Vorspiel zu den Vorstandswahlen hatte bereits genug Stoff für negative Schlagzeilen geliefert.

Merz hatte in einer Parteisitzung am Montag plötzlich vehement über die Gesundheitreform geschimpft, die von der Union mitgetragen wird. Unter anderem beklagte er, versicherungsfremde Leistungen würden aus den gesetzlichen Krankenkassen nicht herausgenommen. Dies bedeute weitere Steuersubventionen. Und überhaupt: Diesem faulen Kompromiss mit der Regierung könne er am Freitag im Bundestag nicht zustimmen, erklärte Merz. Seinen wütenden Vortrag beendete er überraschend mit den Worten: „Im Übrigen trete ich nicht mehr an.“ Als Fraktionsvize, war gemeint. Die CDU-Oberen reagierten Teilnehmern zufolge „entsetzt und ratlos“. Immerhin gilt Merz als Gegenspieler zu Superminister Wolfgang Clement (SPD). Zustimmung für seinen späten Protest gegen den Gesundheitskompromiss (das Gesetz war bereits vor Wochen beraten worden) erhielt Merz jedoch nicht. Erst nach nächtlichen Gesprächen mit Merkel und einem Telefonat mit Stoiber ließ sich Merz zum Weitermachen überreden. Er werde wieder antreten und auch der Gesundheitsreform zustimmen, teilte Merkel mit.

In der Union wurde gerätselt, was Merz zu seinem Solo bewog. War es einfach nur der alte Frust über seine Niederlage vor einem Jahr, als er den Fraktionsvorsitz an Merkel verlor? Wollte er gezielt Krach losschlagen, um Merkels Autorität zu untergraben? „Die Begeisterung über die Vorgehensweise hat sich natürlich in Grenzen gehalten“, sagte Vize-Kollege Wolfgang Bosbach. Er glaube aber, „die Freude darüber, dass Merz wieder kandidiert, ist größer als die Verärgerung“.

Fraktionsgeschäftsfüher Volker Kauder betonte, Merkel habe Merz keine Zugeständnisse gemacht. Sie habe ihm vielmehr verdeutlicht, dass man als Vorstandsmitglied auch ungeliebte Mehrheitsentscheidungen mittragen müsse. „Frau Merkel hat politische Führungskraft bewiesen“, so Kauders Fazit.

Bei der CSU beobachtete man den CDU-Krach gelassen bis amüsiert. Die Bayern hatten ihre beiden Vizes Horst Seehofer und Gerda Hasselfeldt bereits einstimmig im Amt bestätigt. „Ich hätte mir gewünscht, dass diese Diskussion nicht stattgefunden hätte“, sagte CSU-Landesgruppenchef Michael Glos. „Aber Unterhaltungswert hat sie gehabt.“ Ministerpräsident Edmund Stoiber sprach von einer „kleinen Querele“. So etwas werde es „immer wieder geben“. Keine schönen Aussichten für Merkel, zumal Stoiber Merz den Rücken stärkte. Der Fraktionsvize sei „eine Kapazität“, für die Union sei er „unverzichtbar“. Merkel hatte also keine andere Wahl, als Merz zu bitten, wieder anzutreten.