: Zahlenspielereien und Abrechnungstricks
Die EU-Statistikbehörde Eurostat ist seit fünf Jahren wegen Begünstigung und Unterschlagung im Gerede. Eine Chronik des Skandals
Mindestens seit 1998 macht das EU-Statistikamt Eurostat Probleme. Damals führte noch der Luxemburger Jacques Santer die Kommission. Angesichts der massiven Korruptionsvorwürfe, mit denen seine Crew konfrontiert war, wirkten die Pannen bei Eurostat wie eine Randnotiz. Da das Amt schon damals nur einen Bruchteil der Aufgaben mit eigenen Mitarbeitern bewältigen konnte, mussten Aufträge an andere Firmen vergeben werden – und niemand kontrollierte, ob die gelieferte Qualität den Anforderungen entsprach.
1999 trat Romano Prodi mit einer neuen Mannschaft und dem hohen Anspruch an, „null Toleranz bei Betrug und Fehlverhalten“ zum Maßstab zu machen. Der für seine guten Nerven bekannte Labour-Politiker Neil Kinnock wurde ausersehen, sämtliche Sümpfe der Kommission trockenzulegen und beim Verdacht auf Unregelmäßigkeiten hart durchzugreifen.
Nach vier Amtsjahren ist von diesem hohen Anspruch nichts übrig geblieben. Eurostat hat heute 720 Mitarbeiter und ein Jahresbudget von 140 Millionen Euro. Wer sich kritisch zu den Vorgängen im eigenen Haus äußert, wird wie eh und je kaltgestellt. Verträge mit Partnern, die schon im Jahr 2000 unter Betrugsverdacht standen, wurden immer wieder verlängert. Der Informationsaustausch zwischen den Ermittlern vom Betrugsbekämpfungsamt Olaf und der Kommission funktioniert nicht.
Im Januar 2002 mahnte Kinnock die dänische Eurostat-Mitarbeiterin Dorte Schmidt-Brown ab, die überhöhte Zahlungen an den Vertragspartner Eurogramme zu verhindern versucht hatte. Generaldirektor Yves Franchet, der schon 1996 am Pranger stand, weil er Zahlen manipuliert haben soll, blieb trotz massiver Anschuldigungen jahrelang unbehelligt auf seinem Posten.
Erst im Mai dieses Jahres wollen die zuständigen Kommissare Kinnock, Solbes und Schreyer davon erfahren haben, dass bei Eurostat nicht nur die Qualitätskontrolle zu wünschen übrig lässt und externe Partner Leistungen abgerechnet haben sollen, die sie nicht erbrachten. Da ermittelte bereits die Pariser Staatsanwaltschaft gegen Franchet und seinen Stellvertreter Daniel Byk. Sie sollen Geld aus Datenverkäufen an Privatkunden in den so genannten Data-Shops abgezweigt haben.
Ende Mai wurden die beiden bei vollen Bezügen als Berater in eine andere Abteilung versetzt. Vier Wochen später kündigte Jules Muis, der interne Chefprüfer der Kommission, seinen Rückzug an. Muis, der bei der Weltbank breit angelegte Betrügereien aufgedeckt hatte, glaubt wohl nicht mehr daran, dass ihm solches in Brüssel gelingen könnte.
Erst Ende Juli rang sich die EU-Kommission dazu durch, die Verträge mit Planistat, einem der umstrittenen Eurostat-Partner, zu kündigen. Bis Ende Oktober sollen alle 400 Verträge mit externen Partnern ebenso überprüft werden wie die Arbeit der 40 Abteilungsleiter der Luxemburger Behörde.
Kommissionssprecher Reijo Kemppinen musste einräumen, dass es immer noch keine stichfesten Beweise für die Vorwürfe gibt. Bei Olaf werden zwei neue „Task-Forces“ gegründet, um die Antibetrugsbehörde auf Trab zu bringen. „Seit Wochen sagen die Leute, wir sollten endlich Konsequenzen ziehen. Wenn wir es dann tun, sagen sie, wir hätten doch gar keine Beweise“, klagte Kemppinen. Wieso die zuständigen Kommissare Kinnock, Schreyer und Solbes Monate lang nicht darüber Bescheid wussten, dass die kommissionseigene Betrugsabteilung Olaf gegen Eurostat ermittelt, bleibt offen. Eine „Erklärung des guten Willens“ zwischen Olaf und der Kommission soll den Informationsaustausch künftig verbessern.
Morgen muss Kommissionschef Romano Prodi persönlich vor dem Europaparlament erscheinen. Die grünen und sozialdemokratischen Mitglieder des Haushaltskontrollausschusses hatten bislang dafür gesorgt, dass ihre Parteifreunde Kinnock, Schreyer und Solbes vom Parlament nicht zu hart angefasst wurden. Vor allem die britischen Konservativen und die CSU-Abgeordnete Gabriele Stauner hatten nämlich mehrfach gefordert, für den Haushalt 2002 keine Entlastung zu erteilen.
Sicherlich werden weitere Details aus dem Eurostat-Sumpf ans Licht kommen. Wenn das Parlament im kommenden Frühjahr über die Haushaltsentlastung 2003 entscheiden muss, liegt das Thema politisch goldrichtig – mitten im Europawahlkampf. DPS