Auszüge aus der gestrigen Ansprache von UN-Generalsekretär Kofi Annan an die UN-Vollversammlung

„Terrorismus ist ein Problem, das nicht nur reiche Länder betrifft. Das können die Menschen auf Bali, in Bombay, Nairobi oder Casablanca bestätigen. Massenvernichtungswaffen bedrohen nicht allein den Westen oder den Norden. Dem werden auch die Menschen in Iran oder in Halabdscha im Irak zustimmen. Worin wir uns unterscheiden, ist aber offensichtlich unsere Reaktion auf diese Bedrohungen.

Seit Gründung dieser Organisation haben Länder generell versucht, Bedrohungen für den Frieden durch Eindämmung und Abschreckung unter Kontrolle zu bekommen. […] Nach Artikel 51 der Charta (der Vereinten Nationen) haben Länder, die angegriffen werden, automatisch das Recht auf Selbstverteidigung. Aber bisher galt es als selbstverständlich, dass Staaten für alle weiteren Maßnahmen und für Gewaltanwendung zu Verteidigung des internationalen Friedens und der Sicherheit die einzigartige Legitimation des Sicherheitsrates brauchen.

Jetzt sagen einige, dass diese Übereinkunft nicht länger haltbar ist, weil ein Angriff mit Massenvernichtungswaffen jederzeit ohne Vorwarnung und durch eine unbekannte (Terror-)Gruppe zu befürchten sei. Statt auf einen solchen Angriff zu warten, meinen sie, dass jeder Staat das Recht und die Verpflichtung hat, einen Erstschlag auszuüben, selbst auf fremdem Boden und in einer Phase, in der die gefürchteten Waffen erst noch entwickelt werden.

Nach diesem Verständnis müssen Länder nicht mehr auf eine Übereinkunft im Sicherheitsrat warten, sondern behalten sich das Recht vor, unilateral oder in Ad-hoc-Koalitionen zuzuschlagen.

Diese Logik ist eine fundamentale Herausforderung an das Prinzip, das in den vergangenen 58 Jahren für Frieden und Stabilität gesorgt hat. Meine Sorge ist, dass diese Logik zur Ausbreitung einer einseitigen und gesetzlosen Anwendung von Gewalt führen könnte, egal ob mit oder ohne hinreichende Rechtfertigung.

Aber das Anprangern des Unilateralismus allein erreicht nichts, solange wir uns nicht gleichzeitig um jene Probleme kümmern, denen sich einige Mitgliedstaaten besonders ausgesetzt fühlen, weil diese sie zu einseitigen Aktionen treiben. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir uns ihrer Sorgen gemeinsam und effektiv annehmen können und werden.

Wir sind an einem Scheideweg angelangt. […] Der Sicherheitsrat muss entscheiden, wie er mit der Möglichkeit umgehen will, dass individuelle Staaten präventive Gewalt gegen empfundene Bedrohungen anwenden könnten. Dies könnte bedeuten, eine Diskussion über die frühe Anwendung von Zwangsmaßnahmen zu beginnen […], auch im Hinblick auf drohende Akte des Völkermordes […]“ DPA/TAZ