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Archiv-Artikel

Angstzonen an Verkehrsknotenpunkten

Die Bezirke Pankow und Lichtenberg haben gestern „lokale Aktionspläne für Demokratie und Toleranz“ vorgestellt. Die listen zunächst detailliert zahlreiche Missstände auf. Konsequenzen daraus werden ab Mitte November beraten

Für Migranten und Flüchtlinge liest sich das Werbefaltblatt der Lichtenberger Wohnungsbaugenossenschaft „Humboldt-Universität e. G.“ wenig einladend. Denn potenziellen Mietern verspricht die Baugenossenschaft neben einem „sicheren Wohnen durch Security“ und „Gästewohnungen zu attraktiven Mietpreisen“ auch „keine Störungen durch kulturelle Verschiedenheit“. Fragt man bei der Genossenschaft nach, was das bedeutet, erhält man zunächst ausweichende Antworten. „Wir schauen, ob jemand in unsere Gemeinschaft passt“, erklärt dazu auf Anfrage eine Mitarbeiterin der Genossenschaft. Und Kultur habe eben auch etwas mit „Lebensstil“ zu tun. Keinesfalls sei die Aussage ausgrenzend gemeint, ergänzt die Dame freundlich. Vielmehr werde bei potenziellen Neumietern danach geguckt, „wie jemand sein Leben gestaltet – ob einer viel feiert zum Beispiel“.

Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (PDS) dagegen hält die Aussage des Werbeflyers für „völlig kontraproduktiv“ für Lichtenberg. „Eine derartige Werbung bestätigt jedes Klischee über den Bezirk“, so Emmrich zur taz. Nach einem Gespräch mit dem Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft, sei ihr versichert worden, dass der Webeflyer nun aus dem Verkehr gezogen werde.

Emmrich geht es schon seit längerem darum, nicht nur offen rechtsextreme Aktivitäten in Lichtenberg zu verhindern, „sondern Haltungen und Stimmungen in der Bevölkerung zu verändern“. Gestern stellte sie daher gemeinsam mit ihrem Pankower Amtskollegen Burkhard Kleinert (PDS) und Jugendstaatssekretär Thomas Härtel die „lokalen Aktionspläne für Demokratie und Toleranz“ der beiden Bezirke vor.

Anders, als ihr Name verspricht, erschöpfen sich die Pläne jedoch in erster Linie in einer Bestandsaufnahme. Auf jeweils knapp 100 Seiten haben Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams gegen Rechts (MBR) und des „Zentrums Demokratische Kultur“ (ZDK) Treffpunkte und Läden der rechten Szene ebenso aufgelistet wie Diskriminierungserfahrungen von Migranten an Schulen oder in den Amtsstuben der Bezirksverwaltungen. „Deren interkulturelle Öffnung“ müsse ein vorrangiges Ziel bei der Umsetzung der Aktionspläne sein, lautete dann auch ein Fazit der Rechercheure.

Finanziert wurde die Erstellung der Aktionspläne vom Land und vom Bezirk Pankow. Hier hatte die Bezirksverordnetenversammlung im vergangenen Jahr beschlossen, dass sich Pankow neben Lichtenberg bei der Landeskommission „Berlin gegen Gewalt“ für die Erstellung des „lokalen Aktionsplans“ bewerben sollte.

Nun wollen die Bezirke ab Mitte November überlegen, wie sie die bisher eher schlagwortartigen Handlungsempfehlungen konkret umsetzen können. Zum Beispiel, was getan werden muss, damit der Ortsteil Karow demnächst nicht mehr als „Angstzone“ für Jugendliche gilt, die sich äußerlich erkennbar gegen Rechtsextremismus positionieren. Das Autorenteam des „Aktionsplans“ hat zudem festgestellt, dass auch alle Verkehrsknotenpunkte im Großbezirk Pankow als „Orte erhöhter Gefahr“ zu bezeichnen seien, unter anderem weil rechtsextrem orientierte Cliquen gezielt S-Bahnhöfe wie Heinersdorf, Buch oder Pankow als offene Treffpunkte wählen. Auch in Lichtenberg wurden die S-Bahnhöfe Lichtenberg und Wartenberg als „Angsträume“ genannt.

Welche Auswirkungen die Angst vor rechten Angriffen auf ihren Alltag haben, haben alternative Jugendliche aus Hohenschönhausen in einer eigenen Videoproduktion festgehalten. Die Premiere von „leben im Beton“ fand gestern Abend dem Thema entsprechend open air am dortigen Lindencenter statt – einem stadtbekannten Treffpunkt der Rechten. Schließlich gehe es darum, „sich vor Ort einzumischen gegen Rechtsextremismus und Rassismus“, sagt Uwe Neirich von „Lichtblicke – Netzwerk für Demokratie und Toleranz“. Für die Bezirksbürgermeisterin sind derartige Initiative ein Hoffnungszeichen.

HEIKE KLEFFNER