: Serbischer Machtpoker mit fatalen Folgen
Am 16. November sollen die Serben – wieder einmal – einen neuen Präsidenten wählen. Auch diesmal ist ein Scheitern der Wahl programmiert. Denn nach wie vor beträgt die Mindestbeteiligung in der ersten Wahlrunde 50 Prozent
BELGRAD taz ■ „Präsidentschaftswahlen? Schon wieder? Für wen sollen wir denn diesmal stimmen? Hat die Regierung nichts Besseres zu tun?“ So reagierten die meisten Bürger Serbiens auf die Frage, ob sie bereit seien, wieder einmal zu versuchen, einen Staatschef zu wählen. Zweimal in Folge scheiterten am Ende des vergangenen Jahres Präsidentschaftswahlen in Serbien an einer zu geringen Wahlbeteiligung. Und jetzt steht die Wahl des Präsidenten wieder auf der Tagesordnung.
Parlamentspräsidentin Natasa Micić schrieb unter noch schlechteren Voraussetzungen als bisher für den 16. November zum dritten Mal Wahlen aus. So wolle es die Verfassung, begründete sie die heftig kritisierte Entscheidung. Serbien müsse endlich staatliche Institutionen aufbauen. Weshalb das von Slobodan Milošević kreierte Wahlgesetz, das für die erste Runde des Urnengangs eine Wahlbeteiligung von über 50 Prozent vorschreibt, in der Zwischenzeit nicht geändert worden ist, erklärte Micić allerdings nicht.
Eine Begründung konnte man in regierungskritischen Zeitungen lesen: weil ein Kandidat der regierenden Koalition DOS sonst chancenlos wäre. Auch die Opposition meuterte. Unter solchen Bedingungen sei die Wahl des Präsidenten „kostspielige Zeitvergeudung“, ein „Ablenkungsmanöver“ der von „Affären und Korruptionsskandalen erschütterten“ Regierung.
Auch einige regierende Parteien bezweifeln den Sinn der Präsidentschaftswahl mit der vorgeschriebenen, „sinnlosen“ Wahlbeteiligung von über 50 Prozent. Führende Meinungsforscher bestätigen, dass die vorgeschriebene Wahlbeteiligung unter den gegebenen Umständen – einem skrupellosen Machtkampf unter den so genannten demokratischen Kräften – nicht erreicht werden könne.
Dabei hätte DOS ohne weiteres – so wie in Montenegro – das Wahlgesetz ändern können. Auf der anderen Seite sind über zwei Drittel der befragten Bürger Serbiens für vorgezogene Parlamentswahlen. „Diese Wahlen sind eine Degradierung der Demokratie, eine Schande für die DOS“, sagte Mladjen Dinkić, Ex-Notenbankgouverneur und Vizepräsident der Oppositionspartei „G 17“. Sie würden die gefährliche politische und institutionelle Krise noch mehr vertiefen, das Land destabilisieren und, falls die Wahl des Präsidenten wie erwartet scheitert, dem internationalen Ansehen Serbiens schweren Schaden zufügen. Dies sei nur der Versuch, vorgezogene Parlamentswahlen zu verschieben, die der einzige Ausweg aus der festgefahrenen Situation seien. Die Regierung nehme bewusst eine mögliche Blamage für den ganzen Staat in Kauf, nur um etwas Zeit zu gewinnen.
Die aussichtsreichsten Kandidaten sowohl der regierenden Koalition als auch der Opposition lehnen ihre Kandidatur unter solchen Verhältnissen ab – so zum Beispiel der Expräsident Jugoslawiens, Vojislav Koštunica, gegen den niemand eine Chance hätte. Am Montag gab die DOS feierlich ihren Präsidentschaftskandidaten bekannt: Dragoljub Micunović (74) soll versuchen, die wahlmüden Wähler zu mobilisieren. Der Philosophieprofessor und Parlamentspräsident der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro, Vorsitzender des Demokratischen Zentrums, wirbt für eine Versöhnung aller demokratischen Kräfte. Er gilt als „Vater“ aller bürgerlich-demokratischen Parteien in Serbien.Viele glauben jedoch, dass der linksliberale, überzeugte Europäer, Antinationalist und Atheist ein idealer Kandidat für einen EU-Staat wäre, nicht jedoch für das immer noch von nationalistischen Gefühlen geprägte, von der serbisch-orthodoxen Kirche beeinflusste Serbien.
Genau das alles verkörpert sein stärkster Kontrahent, Tomislav Nikolić, Vizepräsident der extrem nationalistischen Serbischen Radikalen Partei. Seinem charismatischen Chef, Vojislav Šešelj, wird der Prozess wegen Kriegsverbrechen vor dem UNO-Tribunal in Den Haag gemacht. Die Präsidentschaftswahlen in Serbien sind ein Pokerspiel. Momentan scheint es, dass die regierende Koalition DOS die schlechteren Karten hat.
ANDREJ IVANJI