Nicht mauern, Schily

AktivistInnen der Anti-Lager-Tour absolvierten gestern einen Protestmarathon: von Kunersdorf zur SPD-Zentrale

Da stand sie wieder, die Berliner Mauer. Und zwar zwei Tage lang auf dem Alexanderplatz. Aufgestellt wurde sie von Aktivisten, die sich „Institut für Nomadologie“ nennen. „Niemand hat die Absicht, eine Festung Europa zu errichten“, steht auf dem grauen Bauwerk aus Holz und Styropor – eine Anspielung auf das Zitat von Walter Ulbricht, der im Frühjahr 1961 bestritt, eine Mauer quer durch Berlin ziehen zu wollen. Vor 15 Jahren hätten die Deutschen die neue Bewegungsfreiheit enthusiastisch begrüßt, sagte eine Initiatorin dieser Aktion. Nun seien es Schily und die Bundesregierung, die den Mauerbau forcierten, und zwar an den EU-Außengrenzen.

Für Flüchtlinge und ihre Unterstützer ging gestern ein langer Protesttag zu Ende. Bereits am frühen Morgen standen Teilnehmer der „Anti-Lager-Tour – gegen Abschiebung und Ausgrenzung“ vor den Toren des Flüchtlingsheims Kunersdorf in Brandenburg, um mit einem „Protestfrühstück“ gegen das Chipkartensystem zu demonstrieren. Flüchtlinge im Landkreis Märkisch-Oderland bekommen seit einiger Zeit kein Bargeld mehr ausgezahlt, sondern erhalten eine Chipkarte, mit der aber Anwaltsrechnungen oder auch Arzneimittel nicht bezahlt werden können (die taz berichtete). Trotz Genehmigung der Versammlungsbehörde durfte die Aktion vor dem Heim nicht stattfinden. Die Polizei hatte das Gelände weiträumig abgesperrt. Daraufhin zogen die Demonstranten in die nahe gelegene Stadt Seelow und protestierten vor dem Sozialamt weiter.

Bei der Demo am späten Nachmittag auf dem Alexanderplatz kam es dann zu Rangeleien, weil Polizisten einen Bus mit Flüchtlingen kontrollierten. „Wir wollen nicht wie Kriminelle behandelt werden“, empörte sich Antoine Fotso vom Flüchtlingsheim Kunersdorf. Einigen Flüchtlingen drohen nun Anzeigen wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht, weil sie unerlaubt den ihnen zugeteilten Landkreis verlassen haben. Erst als die Hälfte der rund 600 Demoteilnehmer den Flüchtlingen zu Hilfe eilte, gaben die Polizisten nach und ließen den Zug zur SPD-Zentrale ziehen. FELIX LEE