taz-serie (8): wie fahren wir 2010? : Ein attraktiver Nahverkehr braucht endlich echte Marktwirtschaft
Ein Gesetz für die Mülltonne
Stellen wir uns vor: Das Land Baden-Württemberg beauftragt die DaimlerChrysler AG, eine fünfsitzige Limousine mit 180 PS zu produzieren. Das Auto muss exakt 4.335 Zentimeter lang und 2.322 Zentimeter breit sein, darf nur in Azurblau und Kaminrot ausgeliefert werden. Der Preis muss 22.000 Euro betragen, Menschen über 65 Jahre, mit Behinderung oder ohne Job muss DaimlerChrysler 25 Prozent Rabatt gewähren. Um den niedrigen Preis zu garantieren, zahlt das Land jährlich einen Millionen-Ausgleichsbetrag an DaimlerChrysler. Anderererseits darf in Baden-Württemberg niemand anderes Autos verkaufen als Daimler. Totaler Quatsch, mag man sagen, gibt’s doch gar nicht! Weit gefehlt! Der öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) funktioniert bis heute genau nach diesem Muster. Die angebotene Leistung wird hinsichtlich Qualität, Quantität und Preis am grünen Tisch festgelegt – bei den Landes- und Kommunalbehörden. Die viel gescholtenen Verkehrsunternehmen sind nichts anderes als Lohnkutscher. Sie fahren auf Auftragsbasis. Sonderangebote oder Aktionspreise können nicht mal kurz entwickelt werden. Dazu sind monatelange, genau festgelegte Verfahren nötig.
Andererseits: Ausgleichszahlungen, Beihilfen, garantierte Einnahmequellen – Verkehrsunternehmen leiden in Deutschland nicht wirklich. Kein Unternehmen im öffentlichen Verkehr kann Pleite gehen! Bei solch bürokratischen Verfahren verwundert nicht, dass jede Lust auf Innovatives fehlt. Warum sollen sich Unternehmen unter diesen Bedingungen anstrengen, lukrative Tarife oder Produkte anzubieten? Kein Unternehmen im ÖPNV muss wirklich um Fahrgäste kämpfen. Die Subventionen sind sicher, auch wenn gar keiner mitfährt.
Unter diesen Bedingungen muss man sich nicht wundern, dass trotz jährlicher Milliardensubventionen die Zahl der Fahrgäste nicht steigt. Von der erhofften Verkehrswende einmal ganz abgesehen. Grundlage für dieses Absurdistan ist das „Personenbeförderungsgesetz“, ein bis heute gültiges, bürokratisch überfrachtetes, jede Privatinitiative abtötendes Totalwerk. Es stammt – wie das Energiewirtschaftsgesetz – aus den 30er-Jahren, als Staat diktierte, was gut für seine Bürger ist. Eine neue Verkehrspolitik hat daher gar nicht viel zu tun: Das bisherige Gesetz in den Mülleimer der Geschichte schmeißen und sich auf moderne Regeln verständigen: die Einführung der Marktwirtschaft – mit Angeboten und Nachfrage, mit Wettbewerb und Eigeninitiative, mit Risiko, Pleiten, Pech und Pannen.
ANDREAS KNIE
Der Autor arbeitet in der Projektgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum BerlinNächste Woche: ÖPNV neu definiert