Die Hornbrille Bin Ladens

Hurra, „Anything Else“, die neue Komödie von Woody Allen, kommt doch in die deutschen Kinos! Der Stadtneurotiker spielt diesmal den Gagschreiber David Dobel, der sich nicht nur als Allens Alter Ego, sondern auch als sein Nachlassverwalter empfiehlt. Die Gags verarbeiten Hysterien des 11. September

VON BIRGIT GLOMBITZA

Fast hätten wir wieder nichts vom ihm, dem hypermotorischen Hornbrillenträger aus Manhattan, dem intellektuellen Schlemihl und ausgiebigem Kinomelancholiker, gehört. „Hollywood Ending“ (2002), Woody Allens vorletzter Film über Arbeit und Leben eines psychosomatisch blinden Regisseurs, hatte es zuvor zwar nach Cannes, aber nicht weiter bis in die bundesdeutschen Kinos geschafft.

Selbst die New Yorker Lichtspielhäuser nahmen „Hollywood Ending“ nach wenigen Wochen aus dem Programm. Und eine Weile sah es so aus, als würden im Schatten gigantischer Kopienzahlen von „Herr der Ringe“- und „Harry Potter“-Sequels der Stadtneurotiker und sein frühes Alterswerk „Anything Else“ in dieser fatalen Mischung aus internationaler kommerzieller Ignoranz und Allens eigenem angeschlagenem Selbstbewusstsein verschwinden. Doch Steven Spielberg hat sich ein Herz gefasst und vertreibt „Anything Else“ als DreamWorks-Produktion.

Bevor wir Allen als verschrobenen Komikeropa auf einer Bank im Central Park wenig Zusammenhängendes über Antisemitismus und durchtriebene, nackte Busfahrer faseln hören, hängt also erst diese kitschige Huckleberry-Finn-Anspielung auf dem DreamWorks-Halbmond ihre Angel ins Wasser und will uns glauben machen, dass unter der sich kräuselnden Oberfläche allerhand Fantastisches auf uns wartet. Und nicht ein von Psychoanalyse und anderen Verschwörungen verrätseltes und vertracktes Leben.

Doch wie in jedem anderen guten Woody-Allen-Film hat auch hier die Komik wieder viel mit Krankheiten zu tun. Auf all die übliche Lebensangst, die neurotische Fabulierlust und die Impotenzen des urbanen Dschungelbewohners türmt sich in „Anything Else“ auch die Panik vor äußerer, am besten terroristischer Bedrohung und die vorm Altwerden. Und so empfiehlt sich der ergraute Gagschreiber David Dobel (Woody Allen) nicht nur als Allens Alter Ego, sondern auch als kauziger Nachlassverwalter, der in der Hauptfigur Jerry Falk (gespielt vom Teenie-Star der „American Pie“-Trilogie Jason Biggs) einen wunderbar melancholischen Wiedergänger und würdigen Erben findet.

Jerry mag zwar Dobels Vorliebe für globale Phantasmen abgehen, die in jedem geklauten Parkplatz ein antijüdisches Komplott erkennen. Aber Jerrys Vorliebe für Neofreudismus und Diana Krall, das Fräuleinwunder des Jazz, sowie seine programmatisch unglückliche Verknüpfung von Liebe und Schuld lassen den Jungkomiker schon bald die Züge eines nachwachsenden Stadtneurotikers annehmen. Dobel, den er regelmäßig zu versponnenen Spaziergängen durch den Central Park trifft, wird als missgünstiger Kommentator von Jerrys Lebensabschnitten auserkoren. Er bildet eine Art Chor, der ungnädig verpatzte Möglichkeiten und überfällige Entscheidungen auflistet und allerlei misanthropische Radikallösungen parat hat.

Blind verliebt, übersieht Jerry lange die Eskapaden seiner Freundin Amanda (Christina Ricci), einer essgestörten Quartalsnymphomanin. Für Dobel ist der Fall schnell klar: „Sie ist irre. Das Pentagon könnte ihre Hormone als biologische Kampfstoffe einsetzten.“ Als Amanda obendrein noch ihre abgetakelte Mutter ins viel zu kleine Apartment holt, wird es endlich auch dem freundlichen Fatalisten Jerry zu viel.

Und so plätschert das Leben mit den Klavieretüden der neuen Untermieterin dahin. Mal boulevardesk, mal abgründig. „Like anything else“, wie ein Taxifahrer Dobel einmal die Funktionsweisen von Gott und der Welt erklärt und dabei zwischen den Zeilen auch dem jüngsten Film seinen Platz in Allenville zuweist. Denn „Anything Else“ ist so gut wie jedes andere runde Allen-Werk, denen das Leben bleischwer auf den schmalen Schultern liegt. Und wie immer entsteht die Komik aus dem unvermittelten Nebeneinander von vergrübelten Spekulationen und trivialsten Details aus dem großstädtischen Alltag.

Dass Allens Oneliner immer noch mit graziöser Schärfe zeitgenössisches Denken und modische Albernheiten verspotten, lässt sich in „Anything Else“ vor allem an der Verarbeitung der Hysterien ablesen, die der 11. September beflügelt hat: all jene hochgerüstete Privatheit, die zwischen Panic-Room, Kellerschießstand und aufgefüllten Vorratskammern jederzeit bereit ist für den ganz großen Anschlag; jenen Frontier-Geist, der einen nationalen Auftrag zu verspüren glaubt, wenn er mit Survival-Kit und Gewehr den Nachbarn oder den Verkehrsrüpel als Bin Laden der eigenen Angstpsychose verfolgt.

Und wenn Woody Allen seinem jungen Freund mit den großen Gesten eines Initiationsmeisters den Sinn einer Feuerwaffe erklärt, bleibt das vor allem deswegen so putzig und witzig, weil man in jeder Sekunde um den anderen Allen weiß. Um den, der sich bei Gewitter im Schrank verkriecht, der mit Tod und Teufel pokert, wenn er – und sei es noch so klein und mickrig – nur bloß noch einmal davonkommt. Und um den, der so Rührendes von sich gibt wie: „Ich habe keine Angst vorm Sterben. Ich will nur nicht dabei sein, wenn es passiert.“