: Kein Verbot ohne Gesetz
Das Bundesverfassungsgericht hält auch ein Kopftuchverbot grundsätzlich für zulässig
aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH
Fereshta Ludin hatte eine fröhlich-bunte Farbe gewählt. In Karlsruhe trug sie gestern ein gelbes Kopftuch, und sie hatte auch Grund zur Freude. Ihre Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Bis auf weiteres ist in ganz Deutschland das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht erlaubt. Allerdings kann sich das auch bald wieder ändern, denn das Verfassungsgericht ließ Kopftuchverbote für Lehrerinnen ausdrücklich zu – wenn sie auf ein ausdrückliches Gesetz gestützt werden.
Für Fereshta Ludin ist dies dennoch ein großer Erfolg. Bisher war sie in drei Instanzen gescheitert. Dreimal hatten die Verwaltungsrichter zuvor in Ludins Kopftuch einen Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht gesehen. Seit gestern ist die Situation zumindest wieder offen. Mehr war nicht drin. Die Karlsruher Richter machten gestern deutlich, warum das Kruzifix-Urteil aus dem Jahr 1995 auf das Kopftuch der Lehrerin nicht ohne weiteres zu übertragen ist. So sei das Kreuz an der Wand vom Staat angeordnet worden, während die Lehrerin über ihre Kleidung selbst entscheide. Deshalb mache sich der Staat das Kopftuch einer Lehrerin auch nicht zu Eigen, selbst wenn er es im Unterricht dulde, heißt es in der 45-seitigen Entscheidung.
Über weite Strecken versuchte das Gericht gestern lediglich, Vorurteilen über das Kopftuch den Boden zu entziehen. So habe dieses keinen einheitlichen Aussagegehalt. Es könne als religiös vorgeschriebenes Bekleidungsstück gesehen werden, als Zeichen politisch-religiösen Fundamentalismus oder auch nur als Bekenntnis zu Traditionen des Herkunftslandes.
Viele junge muslimische Frauen wählten das Kopftuch sogar bewusst, so heißt es im Urteil, „um ohne Bruch mit der Herkunftskultur ein selbst bestimmtes Leben zu führen“. Das Kopftuch dürfe deshalb nicht auf ein Zeichen gesellschaftlicher Unterdrückung der Frau „verkürzt“ werden. Auch Fereshta Ludin hatte immer betont, sie stehe als berufstätige Muslimin zur Emanzipation der Frau.
Chance zur Einübung von Toleranz
Keine wissenschaftlichen Belege sah das Gericht für den Verdacht, Schulkinder könnten durch die ständige Konfrontation mit dem Kopftuch einer Lehrerin religiös beeinflusst werden. Der Kieler Psychologe Thomas Bliesener hatte als Sachverständiger erklärt, dass das Tuch für Grundschulkinder lediglich ein „ungewöhnliches Kleidungsstück“ sei. Falls es zu vereinzelter Nachahmung komme, verstünden die Kinder jedenfalls nicht den Sinn ihres Tuns.
Dennoch sei es zumindest „möglich“, so die Richter, dass ein Kopftuch zu Konflikten in der Schule führen könnte – mit Eltern, Schülern oder anderen Lehrern. Das Verfassungsgericht hält daher auch ein Kopftuchverbot grundsätzlich für zulässig. Ein solch „präventives Verbot“ bedürfe allerdings einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage, weil hier tief in Grundrechte der Lehrerin eingegriffen wird. Eine solche Entscheidung müsse das Parlament treffen und könne nicht der Regierung überlassen bleiben. Bisher gibt es weder in Baden-Württemberg noch in anderen Bundesländern ein entsprechendes Gesetz.
„Dabei können die einzelnen Länder zu verschiedenen Regelungen kommen“, erklärte gestern Winfried Hassemer, der Senatsvorsitzende. Das Karlsruher Verfassungsgericht zeigt den Ländern dabei im Wesentlichen zwei Konzepte auf, wie mit der zunehmenden religiösen Pluralität in der Schule umgegangen werden kann. So könne die religiöse Vielfalt entweder bewusst akzeptiert werden, um sie als Mittel für die Einübung von gegenseitiger Toleranz zu nutzen. Man könne aber auch das damit verbundene Konfliktpotenzial vermeiden und religiöse Bezüge im äußeren Erscheinungsbild der Lehrkräfte an der Schule generell verbieten.
In einem Sondervotum sprachen sich gestern drei konservative Richter für eine harte Linie gegenüber dem Kopftuch aus. Grundrechte von Beamten müssten zurücktreten, wenn sie den staatlichen Auftrag behindern und Konflikte in die Schule hineintragen. Deshalb sei auch kein Gesetz erforderlich, vielmehr sei im Fall Ludin die Entscheidung der baden-württembergischen Landesregierung ausreichend.
Hätte sich ein vierter Richter dieser Sicht angeschlossen, hätte Fereshta Ludin den Prozess verloren. Doch der einst von der CDU vorgeschlagene parteilose Jurist Siegfried Bross votierte gestern mit der linksliberalen Mehrheit. Frau Ludins Erfolg fiel also denkbar knapp aus. Entsprechend erleichtert lächelte sie gestern in die Kameras.