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Archiv-Artikel

Symphonie des Scheiterns

Ein Wiener Kaffeehaus, eine Frau namens Klara, sieben Männer, Exzentriker, Narren, Vernarrte allesamt: Verena Roßbacher hat mit „Verlangen nach Drachen“ ein sehr schön schräges Romandebüt geschrieben

VON WIEBKE POROMBKA

Wundern kann man sich ja immer mal wieder. Zum Beispiel darüber, dass eine junge, knapp dreißigjährige Autorin ihren ersten und dann gleich sehr voluminösen Roman schreibt und dass man darin nichts von dem findet, was man gemeinhin mit junger deutschsprachiger Literatur in Verbindung bringt. „Verlangen nach Drachen“ heißt der Roman, und vermutlich besteht ein Teil der Kunst von Verena Roßbacher gerade darin, so eigenartig quer zu allen Erwartungen zu stehen. Nicht ganz so quer vielleicht wie ihre zumeist männlichen Figuren zum Leben, aber quer genug, um sich ihnen mit einer Liebe und einer Leidenschaft zu widmen, wie man sie schon lange nicht mehr gelesen hat.

Das Wiener Kaffeehaus Neugröschl ist der Ort, wo sich die Wege von Roßbachers Figuren kreuzen und wo das Leben sogleich mit Horváth’schem Flair überzogen scheint. Natürlich ist es nicht eigentlich das Kaffeehaus, sondern eine Frau, die die Geschichten der Männer miteinander verwebt – wenn auch zu ihrem erklärten Missfallen. Denn jeder von ihnen wäre gern derjenige, der auf die Dauer mit der schwarzhaarigen Klara verbunden bleibt, deren Parfüm so betörend wie geheimnisvoll ist (und mit dem es, wie stets in diesem Buch, eine äußerst skurrile Bewandtnis hat).

Es sind Geschichten über das Scheitern, die Roßbacher in den sieben Episoden ihres Romans erzählt. In jeder Episode tritt jeweils ein anderer von Klaras Männern in den Vordergrund. Das Scheitern der Liebe ist aber nur das eine. Auch jenseits dessen gibt es bei jeder der Figuren einen Bruch, ein Versagen in der eigenen Biografie, die sie mit einer irgendwo zwischen Passion und Verzweiflung liegenden Energie zu überdecken sucht.

Valentin Kron etwa, ein asketischer Gärtner, der ein Einsiedlerleben in einem Hüttchen vor der Stadt führt, nur Gemüse isst, Birkenblätter- und Löwenzahntee trinkt und tote Tiere in Einweckgläsern konserviert, war einmal ein gefeierter Musiker. Warum er dieses alte Leben hinter sich gelassen hat und nun in Lammfelljacke durch die Welt läuft, scheint nur als vage Ahnung zwischen den Zeilen hervor.

Klaras Vater Roth (später: Grün, ehemals: Prohaska) hindert sowieso nichts daran, den zwischenzeitlichen Freund seiner Tochter nach allen Regeln der Kunst zu verspotten. Dabei sind sich die beiden Männer im Grunde gar nicht so fremd. Auch bei Roth gehört das Scheitern zum Leben. Er ist ein Hasardeur ohne Glück, ein hochstapelnder Projektemacher, der seine Vorhaben mit schöner Regelmäßigkeit so derb gegen die Wand fährt, dass er mit ebensolcher Regelmäßigkeit nicht nur die Wohnung, sondern gleich auch noch die Identität wechseln muss. Was aber bei Kron melancholieumflort tragisch wirkt, das ist bei Roth nicht nur Routine geworden, sondern immer aufs Neue von Euphorie begleitet: „Jetzt hol ich mir die Stückeln aus dem Feuer und schmelz mir das neu zusammen“, befindet er, nachdem er aus Versehen gerade zwei ihm anvertraute sündhaft teure Geigen zu einem Haufen Sägespäne verarbeitet hat, und beschließt, fortan als französischer Modemacher – Monsieur Vert – zu reüssieren.

Exzentriker, Narren und Vernarrte sind sie allesamt, die Männer, die um Klara kreisen und die ihr Glück irgendwo zwischen den Polen des Ursprünglichen und des Genialen, zwischen der Natur und der Musik zu finden hoffen. Seien es Stanjic und Wurlich, die auf der Suche nach der musikalischen Perfektion den Boden unter den Füßen verlieren; sei es der weltentrückte Paläontologe Teupel oder aber Lenau, der in seinem Blumenladen eine Art neoalchemistisches Labor betreibt. Am Ende schließlich, nach einem furiosen, sämtliche „Tür auf, Tür zu“-Komödien des Wiener Theaters um Längen schlagenden Finale, findet dieses merkwürdige Ensemble doch zusammen, ein Tableau vivant, so aberwitzig wie verletzlich.

Wer fehlt, ist Klara, über die man ohnehin gar nicht so viel erfährt. Dass sie allerdings zumindest vorübergehend Liebenswertes an diesen seltsamen Gestalten entdecken konnte, erzählt ja schon eine Menge. Und dass auch sie sich irgendwann in den Reigen des Scheiterns wird einfügen müssen, erscheint einem beim Lesen wie die natürliche Dramaturgie dieses Buches.

Roßbacher vermag es, ihren Sätze durch Einschübe und Umstellungen eine zuweilen wie aus der Zeit gefallene Melodie zu verleihen, ohne dabei je manieriert zu wirken. Sie lässt eine wie in Dunst getauchte Atmosphäre entstehen, die ihre Figuren und ihr eigenartiges Verlorensein in der Welt auf wunderbare Weise sinnlich macht.

„Akustische Maske“ nannte Elias Canetti das Prinzip, Figuren durch ihre Sprache plastisch werden zu lassen. Roßbacher, die übrigens für Heimito von Doderer schwärmt, gelingt mit ihrer über 443 Seiten aufs Feinste durchkomponierten, geschliffenen Sprache etwas Ähnliches. Eine Symphonie des Absurden, die vielleicht gerade deshalb so schmerzlich real ist. „Nanu“, liest Herr Roth (später: Grün bzw. Vert, ehemals: Prohaska) auf einer Plastiktüte, die sich vor seinem Fenster in einem Baum verfangen hat. Das trifft es vielleicht am besten: Nanu! Das ist wirklich ein großartiges Buch.

Fotohinweis:

Verena Roßbacher: „Verlangen nach Drachen“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 443 Seiten, 19,95 Euro