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Archiv-Artikel

Studienreise nach Hannover

Die CDU-Fraktion geht heute auf Nachhilfefahrt zum niedersächsischen Wahlsieger Christian Wulff. Fahrtleiter ist zum ersten Mal ihr neuer Chef Zimmer. Der müht sich, hat aber ein Autoritätsproblem

von STEFAN ALBERTI

7.57 Uhr, Bahnhof Zoo. Die Gruppe mit den paar Dutzend Männern und Frauen, die heute Morgen in den ICE 944 steigt, sieht vom Alter her nicht wie eine Schulklasse aus. Der Eindruck täuscht: Es ist die CDU-Fraktion auf dem Weg zum Nachhilfeunterricht. Denn der Zug fährt nach Hannover. Dort kehrte die Union im Februar mit Christian Wulff an die Macht zurück, ähnlich erdrutschartig, wie die Berliner CDU 2001 abstürzte. „Von Wulff lernen heißt siegen lernen“ ist das inoffizielle Motto der dreitägigen Fraktionsklausur in der niedersächsischen Hauptstadt, bei der es auch um Föderalismus, Fusion und die Messe geht.

Für Nicolas Zimmer ist es die erste Klausurfahrt als Fraktionschef. Eine Premiere, wie so vieles für ihn im noch neuen Amt. Vier Monate ist es her, dass der Führungsstreit die Fraktion zerriss. Nur mit einer Stimme Vorsprung, mit 18 zu 17, konnte sich Zimmer gegen Peter Kurth durchsetzen, den ehemaligen Finanzsenator. Vorgänger Frank Steffel war zuvor nach wachsendem Unmut in der CDU über seine konstant schlechten Umfragewerte zurückgetreten.

Bei seiner Wahl galt Zimmer als Kandidat von Steffels Gnaden. „Er hat keine eigene Mehrheit“, hieß es, ihn würden nur die wählen, die Steffels Erzfeind Kurth verhindern wollten. Eine Hausmacht scheint Zimmer noch immer zu fehlen. Und nicht alle glauben Kurth, dass er nächstes Jahr nicht nochmals gegen Zimmer um den Fraktionsvorsitz antreten will. „Ich hoffe, dass er im Frühjahr wieder eine Alternative ist“, sagt einer, der Kurth unterstützte. Aber die Stimmung in der Fraktion ist eine andere geworden. „Nicolas Zimmer gibt sich sichtlich Mühe, die Gräben in der Fraktion zuzuschütten“, sagt Kurth. Andere bestätigen das. Wohltuend anders als bei dem oft ruppigen Steffel sei der Umgang. Bei Festen war Zimmer jüngst in lockerer Bierrunde mit Abgeordneten zu sehen, die im Mai eindeutig für Kurth votierten. Diese waren unter Steffel abgemeldet.

Lob bekommt Zimmer außerdem für sein Arbeitspensum: Anders als Vorgänger Steffel, der sich aufs Chefdasein beschränkte und keinem Ausschuss angehörte, macht Zimmer den Knochenjob des haushaltspolitischen Sprechers weiter.

Allein: Kurth sagt, Zimmer gebe sich Mühe. Wie lautet doch die K.o.-Formulierung in allen Job-Beurteilungen? „War immer bemüht“. Und so ist auch zu hören, Zimmer, erst 33, fehle die Autorität, in der Fraktion wie im Parlament. Zu sehr ist er weiter vor allem der jungenhaft wirkende Nice Guy. „Es finden ihn alle nett“, sagt ein CDU-Abgeordneter. „Den Oppositionsführer dürfen aber nicht alle nett finden.“

Das war eine Qualität, die Vorgänger Steffel nicht abzusprechen war. Dauerschlusslicht in den Beliebtheitsumfragen war er seit seiner von Pannen begleiteten Spitzenkandidatur fürs Abgeordnetenhaus 2001. Er, der Strippenzieher, ohne den in der Partei nichts ging, ist im Parlament in die dritte Reihe gerückt. Dort kann man ihn über Stunden beim Zeitunglesen beobachten. Fraktionskollegen berichten von ähnlicher Beschäftigung bei internen Sitzungen und demonstrativem Desinteresse. Bis er diese Wochen in den Ausschuss für Bund, Europa und Medien einstieg, arbeitete Steffel zudem nicht in Parlamentsausschüssen.

Problematisch für die Fraktion ist, dass Steffel stattdessen an seinem Sitz im RBB-Rundfunkrat klebt. Dabei hatte er diesen Sitz im November 2002 mit dem Argument beansprucht, die CDU müsse in dem Gremium den mit Fraktionschefs vertretenen anderen Parteien „auf Augenhöhe“ begegnen. Jetzt sagte Steffel der taz: „Meine Reputation hängt nicht von der Funktion ab.“ Er sei in den Rundfunkrat gewählt und wolle dort bleiben.

„So wie er da jetzt im Parlament sitzt, geht das nicht lange“, heißt es aus der Fraktion. Dem Vernehmen nach erwägt Steffel, auch erst 37, in den Bundestag zu gehen. Die Nominierung würde er wohl bekommen – seine CDU-Gefolgschaft in Reinickendorf, wo er Kreischef bleibt, ist dazu treu genug. Doch die nächste Wahl ist erst 2006, und entschieden hat sich Steffel sowieso noch nicht: „Ich erwäge jetzt gar nichts, ich werde mir jetzt alle Zeit der Welt lassen.“ Als Chef im familieneigenen Teppichunternehmen habe er derzeit sowieso genug zu tun.

Sein trotz aller anders lautenden Beteuerungen sichtbares Desinteresse nervt zwar Fraktionskollegen. Doch auch ein Kurth-Unterstützer vom Mai wie Kurt Wansner gibt sich zumindest offiziell verständnisvoll. „Das muss man menschlich verstehen, der wird seinen Weg finden. Wir werden ihm helfen.“

Helfen? Schon wieder ein Grund mehr für die Fahrt zur Hannoveraner Nachhilfe. Vielleicht weiß Ministerpräsident Wulff hier genauso weiter wie bei der Rückkehr zur Macht. Nachteil seines Rates: Er verspricht keinen schnellen Erfolg. Zehn Jahre brauchte Wulff, um die Union zurück an die Regierung zu bringen. Hören die Berliner ihm genau zu, hieße das: Zurück im Roten Rathaus nicht vor 2011.