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Archiv-Artikel

Sinkflug oder Punktlandung

VON HANNA GERSMANNUND NICK REIMER

Der Rabe Ralf steht vor dem Aus. Mit Galgenhumor Anfang der Neunzigerjahre gegründet, ist der Rabe die letzte Umweltzeitschrift der Dreieinhalb-Millionen-Metropole Berlin. Von der Grünen Liga herausgegeben, lag die Auflage zuletzt bei 11.000 Stück. Zwar scheint eine Notausgabe im Oktober noch gesichert. Die Arbeitsverträge mit der Redaktion sind aber beendet, FÖJler, Absolventen eines Freiwilligen Ökologischen Jahres, müssen einspringen. Die aber sind erst seit Dienstag an Deck.

Die Krise des Blattes kann getrost als Gleichnis für den Zustand der deutschen Umweltbewegung gesehen werden. „Die Umweltverbände leiden am eigenen Erfolg“, sagt Professor Gerd Michelsen vom Institut für Umweltkommunikation der Universität Lüneburg. Die deutschen Wälder stehen noch. Die schwarzen Rauchschwaden über dem Ruhrgebiet sind abgezogen. Die gelben Schaumkronen auf dem Rhein verschwunden. Niemand trennt seinen Müll sorgfältiger als die Deutschen. Und sogar bei Aldi gibt es Energiesparlampen. War da was?

Hatte etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) vor zehn Jahren 213.500 Mitglieder, sind es heute mehr als 390.000. Dennoch spielt die Umweltbewegung in der öffentlichen Wahrnehmung heute kaum noch eine Rolle. Michael Zschiesche vom Unabhängigen Institut für Umweltfragen nennt einen weiteren Grund: „Wir sind die Guten, ihr seid die Bösen – dieser moralische Anspruch und einst wesentlicher Impuls der Bewegung funktioniert heute nicht mehr.“ Die heutigen Umweltprobleme, etwa der Klimawandel, seien für das Schwarzweiß-Schema schlichtweg zu komplex.

Hermann Scheer, SPD-Politiker, Solar-Aktivist und Träger des Alternativen Nobelpreises, sagt: „Nein zu Atomkraft, Nein zur Dünnsäureverklappung, Nein zur Müllflut – die organisierte Massenbewegung Anfang der Neunzigerjahre war eine Nein-Bewegung.“ Nur: Nein-Bewegungen könnten auf Dauer nicht funktionieren. So konkret wie möglich müssten irgendwann „Alternativen aufgezeigt werden“, so Scheer.

Die „Frage nach Alternativen“ beschäftigt mittlerweile das politische Tagesgeschäft. Im Klartext: Rot-Grün in Berlin ist für die Umweltbewegung Gift. Als vor sechs Jahren die CDU aus der Regierung flog, ging manchem Umweltschützer der Feind verloren, gegen den er bis dahin erbittert stritt. Und so sitzen heute im Nachhaltigkeitsrat der Regierung etwa BUND-Chefin Angelika Zahrnt und der Präsident des Deutschen Naturschutzrings Hubert Weinzierl. Umweltbewegung als Teil der Macht.

Zum Straßenbau eine Stellungnahme, zur Ökosteuer ein Gutachten, zum Tankerunfall einen Einschätzung – Umweltschützer sind heute als Berater so gefragt wie Wissenschaftler aus renommierten Forschungsinstituten. Das ist selten öffentlichkeitswirksam und bindet dennoch viel Kraft.

Die Verbände stehen deshalb vor einem Dilemma: Für Kampagnen bleibt weniger Zeit. Das schlägt sich unmittelbar in der Kasse nieder. Betroffen sind davon vor allem diejenigen, die vor Ort in der Republik arbeiten. Der Naturschutzbund Nabu zum Beispiel. Gestern stellte er in Berlin seine Bilanz vor. Anders als der „Massenbewegung Umweltschutz“ geht es den Verbänden vergleichsweise gut. Ihre Mitgliederzahlen sind in den letzten zehn Jahren gestiegen. Doch leiden auch sie, denn sie nehmen weniger Geld ein.

Der Nabu hat 2003 16,7 Millionen Euro an Beiträgen, Spenden, Erbschaften, Zuschüssen und Bußgeldern erhalten. Doch das sind knapp 7 Prozent weniger als noch 2002. Das lag vor allem daran, dass ihm weniger Geld vererbt wurde. Beim BUND gingen die Spenden deutlich zurück– von 6,7 Millionen Euro 2002 auf 5,2 Millionen im vorigen Jahr.

Von einer Misere wollen aber beide Verbände nichts wissen. „Während allerorts Vereine und Verbände um ihre Basis bangen müssen“, hat der Nabu nur 0,5 Prozent weniger Mitglieder, so Nabu-Präsident Olaf Tschimpke gestern. Und der BUND schreibt in seinem Jahresbericht 2003, der leichte Rückgang der Mitgliederzahlen sei für ihn eine „Herausforderung“. Die Schuldigen für die klamme Kasse sind längst ausgemacht: „soziale Unsicherheit“ der Mitglieder und die mit der Agenda 2010 verbundenen finanziellen Belastungen.

Merkwürdig nur: WWF und Greenpeace spüren von dieser Unsicherheit nichts. Der WWF freute sich im letzten Jahr – er feierte seinen 40. Geburtstag – über „Rekordeinnahmen“. Greenpeace unterstützten mehr Menschen als noch 2002, wenngleich pro Kopf etwas weniger gespendet wurde.

Das Erfolgskonzept heißt offenbar „viel Selbstbewusstsein“. Zumindest sagt Greenpeace-Sprecher Michael Hopf: „Wir sind eine bekannte Größe.“ Und WWF-Sprecher Jörn Ehlers: „Wir haben mit Elefant, Tiger und Orang-Utan die exotischeren Projekte.“

Warum die globalisierten Umweltschützer mehr Geld bekommen als die vor Ort? „Für die Ferne spendet es sich leichter“, erklärt Professor Michelsen vom Institut für Umweltkommunikation. Der Mensch setze sich nur ungern mit Problemen vor der eigenen Haustür auseinander. Denn dann müsse er womöglich aktiv werden. Hingegen macht es keinen Sinn, jemanden aus Europa auf die Galapagos-Inseln zu schicken, um Schildkröten zu zählen.

Umweltschutz heißt also heute für viele: Geld geben. Das stimmt selbst für die Wirtschaft. Für den WWF steckt dahinter gar sein Erfolgskonzept: „Wir sind weniger konfrontativ als die anderen“, sagt Sprecher Jörn Ehlers. Der WWF ist traditonell wirtschaftsnah, arbeitet mit der Lufthansa und dem Bierbrauer Krombacher zusammen. Und der Nabu kooperiert schon seit vielen Jahren mit Volkswagen.

„Wir streiten trotzdem mit ihnen weiter“, beteuert Nabu-Hauptgeschäftsführer Gerd Billen. Man glaubt es ihm gern. Wäre da nicht der kleine Schlenker in der Rußfilterdebatte. Der Nabu gehört zur Initiative „Kein Diesel ohne Filter“. Im Juni ließ Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller jedoch überraschend verlauten, er unterstütze auch so genannte „innermotorische Maßnahmen“. Just dafür kämpft auch Volkswagen.

Weil die Grenzen fließend sind, schließt der BUND hingegen die Zusammenarbeit mit Autobauern, Rüstungsfirmen und Chemiefabkrikanten grundsätzlich aus. Greenpeace kooperiert gar nicht. „Wir wollen unabhängig bleiben, deshalb lehnen wir solche Kooperationen ab“, sagt auch Karen Thormeyer von der Grünen Liga Berlin.

Sie erinnert an die erste Ausgabe der Zeitschrift Rabe Ralf 1990. „Geburtshelfer waren die Galgenlieder des Dichters Christian Morgenstern“, sagt Thormeyer. Wie hieß es dort so schön:

Der Rabe Ralf / dem niemand half / half sich allein / am Rabenstein. // Die Nebelfrau / nimmt’s nicht genau / sie sagt nimm nimm / ’s ist nicht so schlimm. // Doch als ein Jahr / vergangen war / da lag im Rot / der Rabe tot.