: Gas geben!
FDP-Verkehrsexperte fordert Tempo 70 auf Ausfallstraßen und neue Tangenten
von KLAUS-PETER VON LÜDEKE
Berlin verfügt über ein großzügig dimensioniertes Verkehrsnetz. Dies gilt für Schienen- und Straßennetz gleichermaßen. Es ist das Ergebnis vorausschauenden Handelns unserer Vorväter. Sie sahen den Verkehr immer auch als Teil der Ökonomie, mit der Folge, dass der Verkehr im Vergleich zu anderen Großstädten noch relativ staufrei und damit umweltfreundlich abgewickelt werden kann.
Der in einem Schwerpunkt des europäischen Fernstraßennetzes liegende Standort Berlin wird sich im Rahmen der anstehenden EU-Osterweiterung neu aufstellen. Die Stadt wird in Zukunft mehr Autoverkehr zu bewältigen haben, sie ist darauf durchaus vorbereitet. Es gibt jedoch zwischen dem ehemaligen Ost- und Westteil ein erhebliches Ausstattungsgefälle im Stadtautobahnnetz, ferner Lücken bei den Stadt-Umland-Straßen und Mängel bei Tangentialverbindungen. Diese meist teilungsbedingten Defizite haben Staus und Umweltbelastungen zur Folge, erhöhen die Transportkosten und beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit Berlins.
Die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus setzt sich daher vor allem für den weiteren Ausbau des Stadtautobahnrings und der B 101 sowie für den Bau der TVO (Osttangente) und TVN (Nordtangente) ein. Das innerstädtische Straßennetz ist mit der Inbetriebnahme des B 96-Straßen-tunnels weitgehend „komplett“, jedoch fehlt eine Stadtstraßenverbindung vom Landwehrkanal über das Gleisdreieckgelände zum Sachsendamm. Die täglichen Verkehrsverhältnisse in der Potsdamer Straße und am Tempelhofer Damm, aber auch Untersuchungen bestätigen den Bedarf nachdrücklich. Das Gerede von einer „Neuauflage der Westtangente“ ist reine Polemik.
Viele sind der Meinung, in Sachen Autoverkehr müsse zugunsten des ÖPNV „von oben umgesteuert“ werden. Ich halte nichts davon, weil dies nicht funktioniert. Der ÖPNV bedient eigene Nachfragesegmente und kann nur in sehr begrenztem Umfang den Autoverkehr ersetzen. Eine Verlagerung von 15 Prozent der Personenbeförderungsleistung des Autoverkehrs auf den ÖPNV würde diesen kollabieren lassen. Aber es gibt hier Spielräume und diese muss der ÖPNV für sich nutzen. Chancen liegen in der stärkeren Verknüpfung von ÖPNV und Autoverkehr durch den Ausbau des P+R-Systems. Echter Wettbewerb im ÖPNV würde die Verkehrsunternehmen dazu veranlassen, Autofahrer zu gewinnen. Hier liegt ein beachtliches verkehrswirtschaftliches Potenzial!
Weitere Gestaltungsspielräume bieten Tempo 30-Zonen in Wohngebieten. Sie sind weitgehend akzeptiert und leisten einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Wohnumfeldqualität und zur Senkung der immer noch zu hohen Unfallzahlen. Gleichzeitig könnte aber auf so mancher Ausfallstraße auch Gas gegeben und das Tempolimit ohne Probleme auf 70 km/h erhöht werden! Verkehrslenkende Maßnahmen stehen immer im Spannungsfeld von Ökonomie, Komfort, Sicherheit und Umwelt. Daher ist sensibles Vorgehen erforderlich, nicht die Pauschalverurteilung des Autoverkehrs!
Der Autoverkehr bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil unserer arbeitsteilig organisierten Dienstleistungsgesellschaft. Er ist ein wirtschaftliches Phänomen, das nur zum Schaden aller zu „vermeiden“ ist. Die aktuelle Senatspolitik der „Infrastrukturverweigerung“, die auch im Stadtentwicklungsplan Verkehr zum Ausdruck kommt, schadet der Zukunftsfähigkeit Berlins. Sie steht im krassem Gegensatz zur Weitsicht unserer Vorfahren. Angesichts der angespannten Haushaltslage ist sicher manche Straßenplanung zurückzustellen. Haushaltsengpässe sind aber kein Grund, notwendige Verkehrstrassen zu verbauen.
Klaus-Peter von Lüdeke, 55, ist Verkehrsexperte der FDP-Fraktion, fährt einen 5er-BMW – „das typische FDP-Auto“, wie er sagt – und Rennrad