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Archiv-Artikel

Solarwärme aus dem Wall

Im württembergischen Crailsheim entsteht nicht nur die größte Kollektoranlage Deutschlands, sondern auch ein riesiger saisonaler Wärmespeicher. „Wir schaffen eine Stadt der kurzen Wege“

10.000 Quadratmeter Sonnenkollektoren will die württembergische Gemeinde Crailsheim in den kommenden Jahren auf ihrer Gemarkung installieren. Bei 32.000 Einwohnern sind das 0,31 Quadratmeter pro Kopf – so viel Solarwärme nutzt bisher keine Gemeinde dieser Größe in Deutschland. Und so verkündete die große Kreisstadt im Hohenlohischen bereits selbstbewusst: „Crailsheim verhilft der Solarenergie zum Durchbruch.“

Denn in der Tat ist Crailsheim ein Lehrbeispiel dafür, über welche enormen Möglichkeiten zur Förderung erneuerbarer Energien die Kommunen verfügen. So werden laut Beschluss der Gemeinde die Kollektoren auf einer Sporthalle, auf einem Schulgebäude, auf weiteren öffentlichen Gebäuden und vor allem auf einem Lärmschutzwall installiert. Zu einem Nahwärmenetz verknüpft und mit einem saisonalen Wärmespeicher ausgestattet, werden sie in Zukunft den Wärmebedarf des Neubaugebiets „Hirtenwiesen“ mit 470 Wohneinheiten zur Hälfte decken.

Die Idee geht zurück auf die Zeit Mitte der 90er-Jahre. Als Initiator gilt der damalige Baubürgermeister Josef Klug. Als das 150 Hektar große Militärgelände seinerzeit durch den Abzug der Amerikaner frei wurde, habe Klug sich der Solarenergie angenommen, erinnert sich der heutige Leiter des Stadtplanungs- und Hochbauamtes, Klaus Ehrmann: „Die Projekte in Friedrichshafen und Neckarsulm hatten ihn inspiriert.“ Denn in diesen beiden Städten wurden schon damals Solaranlagen mit saisonalem Wärmespeicher entwickelt – allerdings in kleinerer Dimension als das nun anstehende Projekt in Crailsheim.

Um dieses zu sichern, musste möglichen Quertreibern von vornherein ein Riegel vorgeschoben werden. Das war juristisch kein Problem – in die Kaufverträge der Grundstücke nahm die Stadt Crailsheim einfach einen Passus auf, der formal „Benutzungsvorgabe“ heißt: Wer auf dem Gelände bauen will, muss sich an die Solarwärme anschließen lassen.

Die ersten 200 Quadratmeter Kollektoren wurden im vergangenen Dezember bereits auf der Sporthalle im Ortsteil Hirtenweisen/Rossfeld installiert. Das Projekt schien sogar Landeswirtschaftsminister Walter Döring, der sonst in Sachen erneuerbare Energien nicht gerade zu den Wegbereitern zählt, derart imageträchtig, dass er zum Startschuss persönlich den Weg nach Crailsheim fand. Immerhin hatte das Land einen Zuschuss in Höhe von 40 Prozent der Kollektorkosten zugesagt – die ersten 300.000 Euro überbrachte der Minister damals persönlich.

Das acht Millionen Euro teure Projekt wird sich voraussichtlich bis 2007 erstrecken. „Den ersten Meilenstein“ von 1.000 Quadratmetern werde Crailsheim bis Ende 2004 erreicht haben, verspricht Josef Wagner, Geschäftsführer der Stadtwerke. Bis zum Jahr 2006 werde man durch die Kollektorflächen auf einem Lärmschutzwall am Rande des Wohngebietes 5.000 Quadratmeter erreicht haben, ehe im Jahr 2007 weitere 5.000 Quadratmeter folgen.

Zumindest nach heutigem Stand könnten die Kollektoren „Deutschlands größte zusammenhängende Solarfläche“ darstellen, wie Dirk Mangold formuliert. Mangold ist Projektleiter am Institut für Thermodynamik und Wärmetechnik (ITW) der Universität Stuttgart und um einen optimalen Wärmespeicher für dieses Projekt bemüht. Denn die sommerliche Solarenergie soll im Erdreich in die Heizperiode hinübergerettet werden.

Ein Wasserspeicher mit 20.000 Kubikmeter Inhalt soll das bewerkstelligen. Er wird vermutlich in den 15 Meter hohen Lärmschutzwall eingebaut, der das neue Wohngebiet gegen ein Gewerbegebiet abgrenzen wird. „Wir werden auf einen Nutzungsgrad von 85 Prozent kommen“, sagt Mangold – der Speicher wird also infolge seiner ungeheuren Größe selbst über viele Monate hinweg nicht mehr als 15 Prozent seiner Wärme als Verlust an die Umgebung abgeben.

Die Entscheidung, welche Art von Speicher man für das Projekt einsetzen wird, ist aber noch nicht endgültig gefallen. Ein Wasserbehälter gilt als wahrscheinliche Option. Alternativ denkbar ist aber auch ein Erdsondenspeicher, der den Boden erwärmt (wie in Neckarsulm), ein Aquiferspeicher, der natürliches Tiefenwasser aufheizt (wie beim Berliner Reichstag), oder auch ein Kies-Wasser-Speicher.

Für den Wasserspeicher spricht, dass er problemlos in den Wall, der am Fuß zwischen 50 und 100 Meter breit sein wird, integriert werden kann. Auf pfiffige Weise wird dieser Wall dann in vielfältiger Weise ökologische Funktionen erfüllen – nicht nur als Standort für die Kollektoren und als Wärmespeicher, sondern auch als lokaler Grünzug. So soll er das Wohnklima verbessern und zur Freizeitgestaltung einladen. Und nicht zuletzt steht hinter dem Konzept auch das Ziel, Autoverkehr zu vermeiden: Dank des Lärmschutzwalls können nämlich Wohngebiet und Gewerbe enger zusammenrücken. Damit wird für viele Mitarbeiter der nahe gelegenen Firmen der tägliche Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad oder gar zu Fuß möglich. „Wir schaffen eine Stadt der kurzen Wege“, sagt Projektleiter Mangold.

Zur Vollendung des ökologischen Gesamtkonzeptes fehlt damit eigentlich nur noch eines – und Mangold würde es begrüßen: „Es ist denkbar, dass die Solarkollektoren in Zukunft auch im angrenzenden Gewerbegebiet gefertigt werden.“ B. JANZING