Fernsehen in der Hölle

Unheimliches Asien: Leben in einem Horrorfilm mit langhaarigen, hungrigen Geistern

Bis vor kurzem habe ich über den im Osten Asiens weit verbreiteten Geisterglauben noch sehr gelacht. Zum Beispiel über das „Hungry Ghost Festival“, das gerade stattfindet und noch bis zum 13. September dauert. Die Chinesen glauben, im siebten Monat ihres Mondkalenders seien Himmel und Hölle geöffnet und die Geister spazierten über die Erde. Um die geisterhafte Brut, die in der Regel aus der gestorbenen Verwandtschaft stammt, zu beschwichtigen, müsse man Dinge verbrennen, die sie im Jenseits gut gebrauchen kann: hauptsächlich Geld, Bier, Zigaretten, Nokia-Handys (in diesem Jahr besonders beliebt: das 6610 und das 7250) und Fernsehgeräte, wobei das Geld allerdings extra gefertigtes „Höllengeld“ ist und der restliche Krempel aus Papier gebastelt.

Besonders komisch fand ich die Fernseher. Was senden sie, fragte ich mich, denn so in der Hölle? Vielleicht diese modernen asiatischen Horrorfilme, die hauptsächlich aus Japan oder Korea kommen und „Juon“ heißen oder „The Face“? In diesen Filmen kann man nämlich asiatische Geister tatsächlich einmal sehen. Sie tragen immer ganz lange schwarze Haare, haben Gesichter ohne Augen, und wenn sie auftauchen, ertönen schlimme Kreissägengeräusche. Dabei kümmern sich die Filmemacher nicht viel um die Logik der Erzählung. Hauptsache, der Geist robbt mehrmals unnatürlich über den Boden, kriecht auch mal an der Zimmerdecke herum und verrenkt sich hin und wieder seltsam. Wasser spielt in diesen Filmen auch eine große Rolle. Gern hinterlassen die Geister nasse Wasserspuren oder kündigen ihre Ankunft durch lange schwarze Haare an, die durch die Wasserleitungen kommen. Auch darüber habe ich oft gelacht.

Doch dann passierte mir neulich selbst etwas Unheimliches. Ich saß zu Hause und sortierte Papiere von meinen Asien-Reisen, als ich plötzlich eine Eintrittskarte in der Hand hielt. Die Karte war vom Prasat Meung Tam, einem herrlichen Khmer-Tempel aus rotem Sand- und Lateritgestein, erbaut im 10. Jahrhundert von König Jayavarman V. Der Tempel liegt in der Isan-Gegend im Nordosten Thailands, ganz in der Nähe der kambodschanischen Grenze, aber das alles fand ich erst später raus. Das Unheimliche nämlich ist: Ich bin in diesem Tempel nie gewesen. Ich war fast überall in Südostasien, ich tauchte in Korallenriffen vor Phuket, sah die Ruinen von Angkor und radelte durch die Straßen Phnom Penhs, aber ich war nie in dieser Ecke Thailands. Und doch besitze ich dieses Ticket zum Preis von 40 Baht, mit der Seriennummer 38991, der Ticketnummer 3 und einem geknipsten Loch, das beweist, dass die Karte auch benutzt wurde. Das ist ungefähr so, als käme man von einer Reise aus Südfrankreich zurück und in der Brieftasche fände sich eine Eintrittskarte zum Eiffelturm, obwohl man garantiert nicht in Paris war. Aber es ist nur ungefähr so: Denn anders als Paris ist der Meung-Tam-Tempel sehr schlecht zu erreichen, und nur wenige Touristen verirren sich dorthin.

Ich habe lange dagesessen und gerätselt, wie ich in den Besitz dieser unheimlichen Eintrittskarte gekommen bin. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Eine Erklärung wäre: Ich habe den Tempel auf einer meiner Thailandreisen besucht, weiß aber aus irgendeinem Grund nichts mehr davon (Schlag auf den Kopf, Schockerlebnis, Frau). Das allerdings ist äußerst unwahrscheinlich. Ich habe auf meinen Reisen Tagebuch geführt, und mir fehlt nicht eine Stunde. Ich könnte das Ticket selbstverständlich auch von einem Mitreisenden bekommen haben, aber auch davon wüsste ich.

Bleibt eigentlich nur die übernatürliche Erklärung. Variante A: Ein Geist (Oma? Opa?) hat mir die Karte zugesteckt beziehungsweise zwischen die Papiere gelegt. Dagegen spricht, dass die klassischen asiatischen Geister nie geben, sondern – siehe oben – immer nur nehmen. Doch es gibt ja noch Variante B: Es war kein klassischer Geist, sondern ein moderner. Das heißt: Ich lebe in einem asiatischen Horrorfilm. Da ist alles möglich und braucht auch keine logische Erklärung. Dafür spricht, dass ich in letzter Zeit immer häufiger kreissägenartige Geräusche höre. Und dann fand ich neulich auch noch lange schwarze Haare im Ausguss unserer Dusche …

Ich habe jetzt aufgehört, über den Geisterglauben zu lachen. Ich habe einfach nur noch Angst. Ich werde gleich morgen unser Haus anzünden. Ich hoffe, dass dies die Geister beschwichtigen wird. Wenn nicht, dann ist wenigstens die teuflische Eintrittskarte ein für alle Mal vernichtet.

CHRISTIAN Y. SCHMIDT