Der Verblüffer

Florian Mayer brachte Tennis-Altmeister Andre Agassi mächtig in Bedrängnis, bevor er aufgeben musste

NEW YORK taz ■ In den ersten Minuten nach dem abrupten Ende war ihm zum Heulen zumute. Florian Mayer saß in der Kabine, spürte das Ziehen im Oberschenkel hinten links, aber schlimmer hatte ihn die Enttäuschung getroffen. „So eine vertane Chance“, dachte er, „ich hätte ihn wirklich schlagen können.“ Einen Satz hatte er gewonnen im größten Tennisstadion der Welt gegen Andre Agassi, zwei hätten es sein können, doch das alles nützte nichts, weil ihm zu Beginn des vierten wegen eines eingeklemmten Nervs nichts anderes übrig geblieben war, als aufzugeben und Agassi zu erklären: „Das war’s, es geht nicht mehr.“ Die Zahlen des Spiels standen noch eine Weile auf der großen Anzeigetafel, als der Favorit und der unerschrockene Herausforderer längst in den Katakomben verschwunden waren: 5:7, 6:2, 2:6, 0:1. Sie dokumentierten, dass Mayer wirklich nicht übertrieb, als er meinte, der Sieg wäre möglich gewesen.

Im ersten Satz hatte er zweimal mit Break geführt, hatte alle mit knallharten Returns, kleinen Tricks und reichlich Tempo verblüfft. „Er schlägt wirklich kuriose Bälle“, meinte Agassi hinterher, „so wie er zur Rückhand ausholt, bist du überzeugt, dass er nicht mehr die Zeit hat, den Ball noch cross zu spielen. Und dann knallt er dir das Ding wie einen Kugelblitz rüber.“

Mitte des ersten Satzes, den er ausgesprochen unglücklich verlor, spürte Florian Mayer das Ziehen auf der Rückseite des linken Oberschenkels zum ersten Mal, die gleiche Verletzung wie vor ein paar Wochen beim Turnier in Stuttgart. Doch er bekämpfte den Schmerz mit Tabletten und spielte im zweiten Satz so zwingend, gewitzt und gut, dass Agassi tatsächlich nicht den Hauch einer Chance hatte. Doch als sich die Schmerzen im Oberschenkel dann wieder meldeten, nützte all das nichts mehr.

Nichts beschreibt Mayers überraschende Entwicklung besser als der zweite Satz dieser Partie. Als er sich Anfang des Jahres bei den Australian Open zum ersten Mal für das Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers qualifiziert hatte, stand er in der Weltrangliste auf Platz 219 und sagte nach seinem Sieg in Runde eins, spätestens in anderthalb Jahren wolle er zu den Besten hundert gehören. In der Nacht vor dem Spiel der zweiten Runde gegen den Argentinier David Nalbandian schlief er kaum und war dann so nervös, dass dieses Spiel zu einer ziemlich einseitigen Angelegenheit wurde. Was er in den sieben Monaten seither aus sich gemacht hat, sah man nun gegen Agassi. Vorher eine ruhige Nacht voller Schlaf, und selbst auf dem Weg zum Spiel seines Lebens – so hatte er es selbst beschrieben – war er nicht nervös. Es ist nicht schwer, sich angesichts eines Giganten wie Agassi in dieser riesigen Betonschüssel klein und verloren zu fühlen – nichts von all dem ließ er zu.

„Ich bin stolz auf mich, dass ich so was inzwischen meistern kann“, sagte er, als die erste, heftige Enttäuschung ein wenig abgeklungen war, und schließlich zählte ein unvergesslicher Eindruck. „Das war das Match, was ich haben wollte, und ich hab’s genossen“, schwärmte Mayer. „Es war einfach toll.“

Er wird die große Stadt wohl mit gemischten Gefühlen verlassen. Allzu große Sorgen wegen der Verletzung macht er sich nicht; das habe sich beim letzten Mal mit Massage und Therapie relativ schnell wieder in Ordnung bringen lassen. Der nächste Weg wird ihn ins rumänische Bukarest führen, zum ATP-Turnier auf Sand. Dort will er Punkte für die Weltrangliste sammeln. Und er ist zuversichtlich, dass ihm das gelingen wird. Bestärkt von den Erlebnissen und Gefühlen der Stunde, in der er Andre Agassi verwirrte. DORIS HENKEL