: „Linke wird es immer geben“
Interview KAI DIEKMANN
taz: Herr Dr. Kohl, haben Sie heute schon die taz gelesen?
Helmut Kohl: Nein.
Warum nicht?
Ich habe sie nie gelesen. Warum sollte ich das heute tun? Nach dem Mord am Treuhand-Chef Detlev Rohwedder titelte die taz auf Seite 1 über dem Beisetzungs-Foto: „Detlev, der Kampf geht weiter“, eine Anspielung auf die Beerdigung des RAF-Terroristen Holger Meins, bei der Sympathisanten skandierten: „Holger, der Kampf geht weiter.“
Ist das nur geschmacklos oder moralische Zerstörungswut?
Beides! Es ist geschmacklos und unter moralischen Gesichtspunkten nahezu unerträglich. Hier zeigt sich ein Maß an Hass, das mir völlig unverständlich ist. Das ist keine Frage von Journalismus, sondern eine Frage der Menschlichkeit. Für so etwas kann man im besten Fall nur Verachtung haben!
Es ist kein Geheimnis, dass Sie auch Stern , Spiegel und Zeit nicht lesen. Woher rührt die Abneigung?
Ich will da nicht pauschal urteilen, schließlich hat alles seine Vorgeschichte. Ich bin schon sehr lange in der Politik. In meiner „Frühzeit“ als jüngster Fraktionschef der rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsfraktion gab es bei Spiegel und Stern durchaus noch Wohlwollen. Aber als ich Parteichef wurde, veränderte sich das schlagartig. Für den Spiegel waren meine Auseinandersetzungen mit Franz Josef Strauß natürlich ein „gefundenes Fressen“. Dabei hatte ich mit dem Herausgeber Rudolf Augstein ursprünglich ein vernünftiges Verhältnis, das sich dann aber völlig zerschlug. Augstein hat später immer wieder vergeblich versucht, meine Ehefrau Hannelore zu einem Interview, mit einem Bild meiner Frau, zu bewegen. Dafür sollte sie Anzeigenseiten für die Hannelore-Kohl-Stiftung und ZNS erhalten. Damit sollte eine unterschiedliche Haltung der Kohls zum Spiegel deutlich gemacht werden. 1976 habe ich das letzte Spiegel-Interview gegeben. Denn es war immer das Gleiche beim Spiegel: Der Text der Interviews war in Ordnung, aber drum herum haben sie eine herabsetzende Geschichte gebaut.
Ein anderes Beispiel: In der Titelgeschichte über Bad Kleinen hat der Spiegel den Staat als Einrichtung äußerster Repression dargestellt. Später hat der Redakteur Hans Leyendecker zugeben müssen, dass seine Behauptungen und Recherchen falsch waren. Es war einer jener Versuche, die Bundesrepublik – und mit ihr die Bundesregierung und mich als Bundeskanzler – als Staat darzustellen, der sich auf dem Weg zum Polizeistaat befindet. Herr Leyendecker ist dann zur Süddeutschen Zeitung gewechselt. Er musste seine Linksorientierung nicht ändern. Jetzt tummelt er sich dort mit anderen, die ihre Abneigung gegen mich pflegen.
Für das Ignorieren des Spiegel habe ich natürlich gebüßt. Ich glaube, es gibt niemanden, der so oft auf dem Titelblatt mit entsprechender Tendenz gezeigt wurde wie ich. Die Art und Weise, wie der Spiegel über den Tod meiner Frau berichtete, hat alle meine negativen Erfahrungen bestätigt.
Damit sind wir beim Stern. Die dortige Berichterstattung aus Anlass des Todes meiner Frau war so gemein, dass sich die Machthaber im Hause Bertelsmann distanzierten und der Presserat den Bericht rügte. Zu diesem Blatt fällt mir gar nichts ein. Ich habe bis heute nicht begriffen, warum man eigentlich den Stern lesen muss. Nur ein einziges Mal habe ich das getan, als der Stern behauptete, die Hitlertagebücher gefunden zu haben. Damals gab es mit meinen Mitarbeitern eine Auseinandersetzung im Kanzleramt, weil ich sagte, ich brauche keine Schriftproben. Selbst wer nur in Maßen die Lebensumstände von Adolf Hitler kenne, wisse sofort: Das muss gefälscht sein. Aber dass der Stern darauf reinfiel, zeigt eben die Auflagengier, die dieses Blatt beherrscht.
Bei der Zeit hat mich immer nur verwundert, mit welchem intellektuellen und journalistischen Anspruch sie auftritt. Meine Erfahrungen mit dieser Zeitung sind ziemlich übel. Nur ein Beispiel: Vor einer Bundestagswahl ist einmal ein Autor der Zeit zu mir gekommen und wir haben einen vergnügten Abend gehabt, sind Bücher durchgegangen, haben Platten gehört, uns glänzend unterhalten – immer bei laufendem Tonband, denn natürlich sollte ich den Artikel vor Erscheinen noch mal lesen, doch sah ich den Beitrag erst, als er gedruckt war. Darin wurde dann ganz die alte Masche gefahren: der tumbe Tor aus Oggersheim, ungebildet, kaum der deutschen Sprache mächtig.
Herr Dr. Kohl, was ist eigentlich „links“?
Das ist gar nicht so einfach zu definieren. Für viele Linke ist das eine Frage des Lebensgefühls. Ich selbst verstehe mich als Wertkonservativer. Wertkonservativ heißt für mich, offen für Neues, für die Zukunft zu sein, ohne das Erbe zu vergessen und zu verbrennen. Ich möchte deutlich machen: Es gibt viel Wichtiges, das ich meinen Kindern und Enkeln erhalten will. Ich nenne ein Beispiel: Ich mag das Wort Umwelt nicht. Erhalt der Schöpfung im biblischen Sinn ist viel richtiger. Wir haben nicht das Recht, das Erbe, die Ressourcen, die uns geschenkt wurden, in unserer Generation kaputtzumachen. Aber ich schustere mir daraus auch keine Ideologie, wie es viele Linke tun. Ich war immer überzeugter Anhänger der sozialen Marktwirtschaft. Die reine kapitalistische Marktwirtschaft lehne ich ab. Deshalb habe ich häufig auch wenig Sympathie aus Teilen der Großindustrie erfahren. Ich bin Katholik, geprägt von der katholischen Soziallehre. Das heißt für mich: Hilfe für den Nächsten. Hilfe für Menschen, die der Hilfe bedürfen.
Nächstes Jahr erscheinen Ihre Memoiren. Wie viele Seiten widmen Sie der Abrechnung mit den Linken?
Ich werde kein Buch der Rache schreiben. Ich will versuchen, die Zeit, so wie ich sie erlebt habe, zu beschreiben. Geschichte am Beispiel meines Lebens. Dabei habe ich natürlich auch Personen erlebt, die im sozialistischen Sinne Linke sind, deren Vorstellung von unserer Republik ich aber nie teilen konnte.
Reden wir über das Gründungsjahr der taz 1978. Damals waren Sie CDU/CSU-Fraktionschef, in Bonn regierte Helmut Schmidt. Wie war es damals um das geistig-moralische Fundament Deutschlands bestellt?
Helmut Schmidt war ja ein treuer Sozialdemokrat. Er war ganz gewiss kein Linker im sozialistischen Sinn. Viele Linke mochten ihn nicht. Er hatte in manchen Bereichen wertkonservative Vorstellungen, die von meinen nicht weit entfernt waren. Aber die damalige Zeit war eine der gefährlichsten, in der sich die Bundesrepublik Deutschland je befunden hat. Es war die Zeit des Nato-Doppelbeschlusses, die Zeit der Auseinandersetzung mit dem Machtanspruch einer übermächtigen Sowjetunion. Schmidt hatte dies richtig erkannt. Und ich habe nach 1982 diese Politik fortgeführt und die Raketen-Nachrüstung durchgesetzt. Das Gefährliche dieser Zeit war die Begriffsverwirrung: Es wurde von der Linken so getan, als sei Freiheit unvereinbar mit der Verantwortung für die Welt. Und dass man daher die Bundesrepublik im Ernstfall nicht verteidigen dürfe. Viele leugneten, dass Frieden und Freiheit untrennbar miteinander verbunden sind. Und dass Frieden ohne Freiheit nicht möglich ist. Sicher gab es unter den Nachrüstungsgegnern viele, die gar keine Linken waren. Viele hatten verständlicherweise Angst vor einem dritten Weltkrieg. Doch es gab auch tausende Agenten, die unterwegs waren, um das geistig-moralische Fundament der Bundesrepublik auszuhöhlen. Wir wissen doch heute, dass Mielkes Agenten viel Geld und Arbeit in die damalige Friedensbewegung investierten.
Mielkes Agenten – war die Linke eigentlich besonders anfällig für Landesverrat?
Es gab damals eine Reihe von Leuten, die mit den Organen der DDR zusammenarbeiteten. Es gab die gekauften Subjekte und es gab diejenigen, die sich einfach rechtzeitig auf die sichere Seite schlagen wollten. Aber die wichtigste Gruppe bildeten die, die wirklich eine andere Republik wollten. Sozialistisch, aber mit verbesserten Lebensbedingungen. Sie wollten das nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Zentraleuropa: Nicht wenige hofften auf drei linke deutschsprachige Republiken in Europa unter dem Schutzschirm der Sowjetunion: die Bundesrepublik Deutschland, die DDR und Österreich.
Was war der größte historische Irrtum der Linken?
Das Menschenbild, das sich nach einer Ideologie ausrichtet. Aber das hat in der Geschichte noch nie funktioniert. Und es war sicher auch ein Irrtum, zu glauben, die waffenstarrende Sowjetunion mit ihren riesigen Panzerdivisionen sei auf dem Vormarsch zur Weltherrschaft. Der entscheidende Fehler der Linken war, dass sie kein Zutrauen mehr zur Idee der Freiheit hatte. Sie haben nicht mehr daran geglaubt, dass die Idee der Freiheit so stark ist, dass sie die Teilung unseres Vaterlandes überwinden kann, selbst wenn eine Generation dieses Ziel nicht erreichte.
Das SED-Regime brach zusammen, die taz titelte: „Die Mauer tritt zurück – wann geht Kohl?“ und orakelte empört über Ihre „Unfähigkeit, auf die geschichtlichen Veränderungen in beiden Staaten zu reagieren“. Was denken Sie, wenn Sie heute solche Zeilen lesen?
Ach wissen Sie, das amüsiert mich. Das wird auch ein Thema meiner Memoiren sein. Ich bin immer unterschätzt worden. Es gab ganz wenige, darunter einige Sozialdemokraten wie Herbert Wehner, die das anders sahen. Die SPD hat 1976 überlegt, was man diesem Helmut Kohl am besten entgegensetzt. Da war auf der einen Seite Helmut Schmidt, der Mann mit dem Weitblick, die weltweit renommierte Persönlichkeit von eindrucksvollem Gepräge. Und dagegen der Pfälzer Helmut Kohl, mit Dialekt. Und ich gebe auch zu, ich bin keine elegante Erscheinung, mein Auftreten entspricht nicht dem, was man in der Mediengesellschaft so schätzt. Ich war „der Mann aus Oggersheim“. Dabei stamme ich gar nicht aus dem Stadtteil Oggersheim, sondern aus der Stadt Ludwigshafen. Aber Ludwigshafen ist Hochburg der deutschen Chemie, eine moderne Stadt. Oggersheim hingegen klang dörflich und vertrottelt. So wurde ich in der Propaganda der Linken der Mann aus Oggersheim. Am Ende haben sie ihre eigenen Wahlkampfslogans geglaubt. Letztlich zeigt vieles, was die da zusammengeschrieben haben, nur, in welchem Umfang sie beschränkt waren – und vermutlich immer noch beschränkt sind.
Hätte es unter einer linken Bundesregierung die Wiedervereinigung eigentlich je gegeben?
Die Wiedervereinigung im Sinne unseres Grundgesetzes sicher nicht! Es wäre eine Wiedervereinigung mit einer jeweils anderen Republik geworden. Das kann man am besten im gemeinsamen Papier von SPD und SED 1987 nachlesen.
Außenminister Fischer hat in Bild seine damalige Ablehnung der deutschen Einheit mit der Furcht vor „alten Großmachtfantasien“ begründet und diese Haltung als seinen größten Fehler bezeichnet. Nehmen Sie als Kanzler der Einheit diese Entschuldigung an?
Mich hat er ja nicht beleidigt, höchstens das deutsche Volk. Dass er sich entschuldigt, ist ja aller Ehren wert – aber die Begründung verwundert mich doch! Es gab 1989/90 nicht den geringsten politischen Willen, die alten deutschen Großmachtträume wiederzubeleben. Ein Satz wie jüngst von Gerhard Schröder „Über die wichtigsten Fragen der Nation wird in Berlin entschieden und nirgendwo anders“ wäre mir, aber auch Helmut Schmidt oder Willy Brandt nie in den Sinn gekommen. Dieser Satz zeigt eine Überheblichkeit, wie sie für Gerhard Schröder typisch ist. Dabei hat gerade die erfolgreiche deutsche Politik, die unsere Verbündeten immer berücksichtigte, dazu geführt, dass wir heute hier in Berlin sitzen. Dass ich im ehemaligen Ministerium von Margot Honecker meinen Schreibtisch habe und aus dem Fenster den Reichstag sehen kann, in dem das deutsche Parlament wieder tagt. Das war alles das Ergebnis von deutscher Politik mit Hilfe vieler anderer Nationen. Nicht einmal die kleinsten Länder in Europa hatten damals ernsthaft Sorge, dass wir wieder größenwahnsinnig werden. Es war klug, dass wir diesen Eindruck damals vermieden haben – nicht zuletzt wegen der bitteren Erfahrungen der Nachbarn mit unserer Geschichte.
Was bedeutete der Fall der Mauer und der Zusammenbruch des Ostblocks für das Selbstverständnis der Linken?
Das war für viele überzeugte Linke eine Katastrophe. Wenn Sie jahraus, jahrein mit geradezu religiöser Inbrunst einer Ideologie anhängen, die sich dann vor aller Welt als großer Schwindel und Lebenslüge entpuppt, dann ist das schon ziemlich bitter …
Ein kleines Geburtstagsgeschenk für unsere Leser: Wer war der netteste Kommunist, den Sie kennen gelernt haben?
Das ist leicht zu beantworten: Mein Mathematiklehrer Dr. Otto Stampfert, der mich als 16-jähriger Gymnasiast in Ludwigshafen unterrichtete, auch in Philosophie. Er war Jude, musste 1933 in Hamburg vor den Nazis fliehen und ist nach dem Krieg aus irgendeinem Grunde in Ludwigshafen gelandet. Er war Kommunist, und hat für seine Überzeugung in der Nazizeit bitter büßen müssen. Er war sehr aktiv in der kommunistischen Partei, wie auch seine Frau, die erste Vorsitzende der FDJ in der Region. Wir haben uns angefreundet – das ist das richtige Wort. Er hat mir „Das Kapital“ von Karl Marx vermittelt, die Ausgabe steht noch heute in meinem Bücherschrank. Dieser großartige Lehrer ist später nach Thüringen gegangen und wurde dort Staatssekretär im Kultusministerium. Bei Säuberungen wurde er als „Westimmigrant“ abgesetzt und wurde Professor in Jena, wo er auch starb. Leider habe ich sein Grab nie gefunden.
Warum sind Sie dann kein Linker geworden?
Meine politische Entwicklung hat sehr viel mit meinem Elternhaus zu tun. Es war christlich-katholisch, liberal und patriotisch geprägt. Das Patriotische war für uns selbstverständlich, weil wir in einer Gegend Deutschlands lebten, die in 200 Jahren Geschichte ständig von einer Annektion durch Frankreich bedroht war. Für mich war es ganz klar, dass ich zur CDU gehe. In der Ludwigshafener SPD schienen mir dagegen alle ziemlich ideologisch festgelegt zu sein.
Aber in der CDU waren Sie damals ja selbst ein Linker, der gegen „falsche Autoritäten“ zu Felde zog. In einem der seltenen Spiegel -Interviews haben Sie Ende der 60er-Jahre gegen die „Bratenrock-Mentalität der Adenauer-CDU“ gewettert …
Das ist schon richtig. Aber man darf nicht jeden, der aufmüpfig ist, automatisch als Linken bezeichnen.
Wie kommt es, dass der spätere Staatsmann Kohl besonders mit linken Amtskollegen im Ausland so gut konnte?
Ich habe mich nie an diesen Fixierungen orientiert – schon weil links und rechts in jedem Land anders interpretiert werden. Im Wortsinn ein Linker ist sicherlich mein Freund Felipe Gonzales, der ehemalige spanische Ministerpräsident. Dieser weltoffene Mann, den Willy Brandt als seinen wahren Enkel in der Sozialistischen Internationale betrachtete, rief mich am Tag der deutschen Einheit früh morgens um 5 Uhr an und sagte: „Helmut, ich versuche schon seit Stunden, dich zu erreichen. Ich habe gerade eine Flasche deines Lieblingsweins hier und trinke sie auf Deutschlands Einheit und dein Wohl!“ Bei François Mitterrand hingegen habe ich mich oft gefragt, ob er wirklich ein Linker ist. Viele waren Sozialdemokraten, aber keine Sozialisten – jedenfalls nicht in dem Sinne wie die, die auf deutschen Straßen herumschrien. Ich habe immer auf den Menschen gesehen, das war für mich entscheidend, nicht links oder rechts.
Es gibt das Gerücht, Sie hätten sogar einen Lieblings-Grünen …
Es wird viel dummes Zeug über mich geschrieben, dieses Gerücht gehört auch dazu. Ich habe weder eine Lieblings-Grüne noch einen Lieblings-Grünen. Joschka Fischer ist es definitiv nicht. Bei ihm habe ich mich damals nur gewundert, wie viele Leute sich sein ungezogenes Wesen und flegelhaftes Benehmen im Bundestag gefallen ließen und heute erstaunt sind, wie er jetzt so staatsmännisch auftreten kann. So viel Mutation hätte man ihm gar nicht zugetraut.
Haben Sie den Eindruck, dass sich nach fünf Jahren Rot-Grün die politische Achse in Deutschland nach links verschoben hat?
Ja. Ich bin mir sicher, dass Rot-Grün an Teilen des Fundamentes unserer Gesellschaft bewusst Veränderungen vorgenommen hat und Veränderungen vornimmt. Ich nenne als Beispiel den Stellenwert der Familie in unserer Gesellschaft. Ich habe überhaupt nichts gegen homosexuelle Menschen. Als Ministerpräsident habe ich für die Abschaffung des Paragrafen 175 gestimmt, wofür ich in meiner Partei stark angefeindet wurde. Ich habe auch nichts gegen juristische Gleichbehandlung homosexueller Paare, etwa in Vermögensfragen oder im Mietrecht. Aber ich bin strikt gegen die völlige Gleichstellung etwa mit Ehepaaren, wie sie jetzt von Rot-Grün betrieben wird.
Hätten Sie sich vorstellen können, dass ausgerechnet ein grüner Außenminister Deutschland in den ersten Kriegseinsatz außerhalb des Nato-Gebiets führen würde?
Nein, bestimmt nicht. Ich habe noch 1990 erlebt, wie seine grünen Gefolgsleute einen echten Sarg vor mein Haus in Ludwigshafen schleppten und Transparente hochhielten, mit der Aufschrift: „Kohl schickt unsere Söhne für die Ölscheichs in den Wüstentod!“ Heute muss man sich schon fragen, wo schicken wir denn noch überall Soldaten hin? Und wann kommt der nächste Häutungs- und Wandlungsprozess von Joschka Fischer?
Gibt es in Deutschland noch echte linke Politiker?
Natürlich, Oskar Lafontaine.
Der ja keine aktive Rolle in der Politik mehr spielt …
Das ist eine offene Frage, das wird er bestreiten!
Welche Zukunft sehen Sie für die politische Linke in Deutschland und Europa?
Die Linke wird es immer geben, weil ihre Ideologie eine gewisse Anziehungskraft hat. Auch heute wiederholt sich die geschichtliche Tatsache, dass Revolutionen nicht von den unterprivilegierten Klassen gemacht werden. Nach meiner Beobachtung kommen in unserer Zeit die ideologisch geprägten Zeitgenossen aus gehobenen Elternhäusern. Sie haben mit 20 Jahren schon ihre Wohnung und der Papa zahlt für das Auto und vieles mehr. In diesen Kreisen ist es auch „in“, links zu sein. Aber das war nie meine Sache. Ich habe mir mein Studium über drei Jahre während der Semesterferien als Schichtarbeiter bei der BASF verdient, unter kommunistischen Arbeitern und Steinhauern. Das waren sehr schwere Berufe, mit erheblichen Gesundheitsgefahren. Wenn ich dagegen diese ganzen piekfeinen Gestalten sehe, die sich heute in der Bundesrepublik und hier in Berlin als Linke tummeln, dann kann ich nur sagen: Dafür habe ich gar nichts übrig.
Herr Bundeskanzler, was wünschen Sie zum Schluss dieses Gespräches der taz für die nächsten 25 Jahre?
Dass sie wieder einmal den Mut aufbringt, jemandem wie Ihnen ihre Seiten zu überlassen.