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Archiv-Artikel

Aus Angst nicht zum Arzt

Im Fall des toten Babys Lara häufen sich Vorwürfe von Verwandten gegen das Jugendamt. Das Bezirksamt erklärt, Hinweise ernstgenommen und geprüft zu haben. Heftige Attacke der CDU-Mitte

Tragisch war, dass die Eltern mit dem Baby nicht zum Arzt gingen

VON KAIJA KUTTER

Im Fall des am Mittwoch gestorbenen Babys Lara haben Großvater und Tante am Freitag über die Medien Vorwürfe gegenüber dem Jugendamt-Mitte erhoben. Die beauftragte Betreuerin des Rauhen Hauses habe sich nicht genügend gekümmert und seine Tochter „kein einziges mal über ihre Mutterpflichten oder Erziehungsmethoden aufgeklärt“, sagte der Großvater laut Abendblatt. Die Tante des Kindes ließ via Morgenpost wissen: „Ich habe das Jugendamt immer wieder gewarnt, wurde aber abgewimmelt.“

„Nach meinen Informationen ist es nicht so gewesen, dass dem nicht nachgegangen wurde“, sagt dagegen Sorina Weiland, Sprecherin des Bezirksamts-Mitte. „Die Familie war sich untereinander nicht grün und hat sich gegenseitig angeschwärzt.“ Hinweise seien „gegengecheckt worden“, so Weiland. Es sei sinnvoll, abzuwarten, was die Obduktion ergibt.

In einer ersten rechtsmedizinischen Untersuchung konnte die Todesursache nicht geklärt werden: Das Baby war abgemagert, es gab aber sonst keine typischen Zeichen für Vernachlässigung. Um zu klären, woran Lara starb, sind Gewebeuntersuchungen nötig, die bis zu drei Wochen dauern können.

Doch ungeachtet dieser offenen Frage wurden gestern schonungslos persönliche Bilder und Daten der Mutter publiziert. Äußerungen der Verwandten muss man zudem in dem Kontext sehen, dass auch sie unter Schock stehen und die Katastrophe nicht verhindert haben.

Wie immer auch die Obduktion ausgeht: Tragisch war, dass die Eltern mit dem Baby nicht zum Arzt gingen und auch von niemandem darin bestärkt wurden, das zu tun. Bild zitiert den Freund der Mutter mit den Worten: „Wir haben gemerkt, dass unser Kind immer dünner wird. Lara-Mia hat in den letzten zwei Wochen kaum noch gegessen, nur getrunken.“ Man habe dem Kind Magentee geholt. „Wir sind aber nicht zum Arzt gegangen, weil wir Angst hatten, dass uns das Jugendamt das Baby wegnimmt. Wir dachten, wir kriegen das schon hin. Das war ein schwerer Fehler. Es tut uns so leid.“

Diese Äußerung stützt die von Sozialarbeitern oft vertretene These, dass schärfere Kontrollen auch das für diese Arbeit nötige Vertrauen schädigen können, weshalb die Helfer sich hier in einem Dilemma befinden.

Unterdessen ritt die CDU-Fraktion im Bezirk Mitte eine harte Attacke: „Es ist nicht das erste Mal, dass im Jugendbereich Hamburg-Mitte Pannen passieren“, erklärte CDU-Jugendpolitiker Peter Herkenrath: Auch Morsal O. sei „bekanntlich“ durch das dortige Jugendamt betreut worden – „bis zu ihrem gewaltsamen Tod“. Und weiter: „Wie viele Kinder müssen noch sterben, bis auch personelle Konsequenzen gezogen werden“. Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) sei „dringend aufgefordert“ die Missstände zu beseitigen. Die Fraktion will sich jetzt am Montag im Jugendhilfeausschuss den Fall darlegen lassen.

Nun kann das Jugendamt in Mitte nichts dafür, wenn sich in seiner Zuständigkeit derart viele schwierige Stadtteile finden. Die Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) personell angemessen auszustatten, ist Sache des Senats. Seit dem Tod von Jessica vor vier Jahren ist darüber debattiert worden, diese Stellenzahl zu erhöhen und die Jugendämter in die Lage zu versetzen, selbst Hausbesuche durchzuführen.

Schließlich wurden dann im Januar 30 neue ASD-Stellen für ganz Hamburg bewilligt; der Bezirk Mitte bekommt davon neun, fünf allein in Wilhelmsburg. Diese Stellen sind allerdings noch nicht besetzt. Potentielle Bewerber seien abgesprungen, heißt es im Bezirk – weil die Bezahlung zu gering ist.