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Archiv-Artikel

Ornament und Grimasse

Vom Amateurstriptease für Sat.1 bis zur Negativfolie der eigenen Biografie: Die Ausstellung „Lebenslänglich 14“ in der Galerie Laura Mars Grp. sucht nach jugendlichem Eigensinn – und findet jede Menge aus Film, Funk und Fernsehen geborgte Gefühle

von SVEN LAGER

Am Anfang war die Kiste. Ein Schrein aus groben Brettern und Deco-Fix mit Holzmaserung, der Amateur-Stripvideos zeigt, flankiert von zwei Parfümflakons. Wie in P. T. Andersons Film „Punch Drunk Love“, als Adam Sandler ein zerkratzter Kasten vor die Füsse schlittert, beginnt mit einer Kiste die ungewöhliche Geschichte. Der Kasten entpuppt sich als Pianola, auf dem Sandler unbeholfen spielt; der Schrein könnte ein Altar aus Westafrika sein, wo Kühlschrank- und Hifi-Attrappen aus Pappe in den Wohnzimmern stehen. Beide sind Wunschmaschinen, die alles andere bringen als Erfüllung.

Die Stripvideos im Schrein wurden 1992 von Louvre Boutique für die „Mitternachtsspitzen“ bei Sat.1 gedreht und sind jetzt in der Galerie Laura Mars Grp. zu sehen. Die Aufnahmen sind milchig, die Künstler selbst hüpfen durch eine geliehene Hochhauswohnung mit Glastischen und werfen linkisch Kleider weg, so wie man sich eben Privatfernsehen vorgestellt hat, und wie es dann auch geworden ist. Powered by Emotion. Nur die Gesten der Gefühle.

Die „Mitternachtsspitzen“ wurden damals eingestellt, bevor die Videos im Fernsehen gezeigt werden konnten. Dafür wurde der Duft der Jugend aus den Flakons auf die Besucher einer Kunstmesse gesprüht, und die Strips liefen wie heute als Endlosschleife in der Installation, die der Gruppenausstellung den Titel gibt: „Lebenslänglich 14“. Gefangen in der ewigen Jugend. Lebenslänglich. In einer Welt, in der sich die Jugendkultur zu beschleunigen begann und in der die junge Geliebte des Vaters von Louvre-Boutique-Künstler Ogar Grafe die betrogene Ehefrau mit einem lapidaren Satz abfertigte: „Jugend zählt!“ So steht es heute in die Seite des Schreins geritzt.

Was damals der Gegenentwurf zu einer sterilen Konzeptkunst war, spielt heute mit der Gefahr, falsch verstanden zu werden. „Lebenslänglich 14“ ist ein leckerer Titel für ein Ereignis im Jahr 2003. Auf den ersten Blick kommt einem der Titel bekannt vor. Saft der Jugend, den es auszuschlürfen gilt. Die Ausstellung aber handelt vom Gegenteil der Erwartungen, die man an diesen Titel stellt. Heute, da jedes Kind weiß, wie Konzerne den Trends der realen Jugend mit ihrem Netz der Informellen Mitarbeiter nachspionieren und da der nachgebaute Grusel eines Teenagerzimmers zum Standard zeitgenössischer Kunst geworden ist, erzählt „Lebenslänglich 14“ von den eigenen Gefühlen der Jugend. Den Falschen und den Echten. Von dem Gefühl, nie zur gewöhnlichen Welt gehören zu wollen, sondern zu der der Mythen und Medien, der Kunst, Musik oder Sat.1-Amateurshows.

Sabina Maria van der Linden, die sich im Stripvideo als Star inszeniert hat, mit Titten und Arsch im Gegenschnitt zu Studioapplaus, beschreibt es so: „Ich bin mir in dieser Zeit immer vorgekommen wie im Film, und ich wollte auch leben wie im Film. Ein Mädchen, mit dem ich mal befreundet war, habe ich nur verlassen, weil ich eine dramatische Trennungszene nachmachen wollte wie in einem 50er-Jahre-Film, um auch mal so mit flatternden Kleidern wegzurennen.“

In ihren neuen Arbeiten offenbart sich ein ähnliches Drama. In den Selbstporträts zeigt sie sich verzogen, teilweise grotesk geliftet, ihr Gesicht schneidet Grimassen, die nicht etwa von aufgewühlten Gefühlen, sondern schlicht von ihren Händen erzeugt wurden, die wegretuschiert sind.

Kunst und Jugend sind subtil miteinander verbunden durch die Welt des Surrogats, der Nachahmung und der gestohlenen Emotion. Songs vermitteln einem für Momente das Gefühl auf Drogen zu sein, die man nie probiert hat, Filme lassen einen Sex haben, den man im Leben so nie findet wird, und ein Kunstwerk kann ein fremdes Leben in sich haben, das man mitlebt, indem man sich selbst verwandelt in etwas Künstliches.

Oliver Koerner von Gustorf, ebenfalls Teil der Louvre Boutiqe und gemeinsam mit Gundula Schmitz Galerist von Laura Mars Grp., beschreibt diese Verbindung aus der Erinnerung: „Es gab mal von TicTacToe diesen Hit, und unter uns standen im Fenster die Hauswartskinder so um die 6, 7 Jahre alt, und brüllten mit „Nie wieder Küssen, nie wieder Vermissen“, obwohl sie in ihrem Leben noch kein einziges mal geküsst hatten! Aber sie sind voll mitgegangen und haben es sicher auch so empfunden. Es geht eben um die Vorstellung, die man von etwas hat und wie man sich dem annähert. Durch das Nachspielen entsteht wieder etwas Eigenes, nicht Beabsichtigtes, etwas Neues.“

Das Stripvideo ist nur eine Referenz auf das Thema der Ausstellung. Die neueren Arbeiten sind selbst Teil der Mythenmaschine geworden. Daniel Pflumms Installationen erfundener Logos ebenso wie Ursula Döbereiners großflächig tapezierte Computerausdrucke mit übereinander gelagerten Zeichnungen, die in ihrer leichten Bitmap-Pixelung Frauen zeigen, die ebenso berühmt sein können wie sie vage umrissen sind. Filmbilder, Freundinnen, Porträts an der Grenze zur Abstraktion.

Kerstin Drechsels Gruppen dagegen bleiben unscharf. Farbige Schnappschüsse in Acryl. Ein Schönheitswettbewerb in einem Potsdamer Schwimmbad. Jungs stehen da, unsicher, gekrümmt, fast nackt und mit Nummernschildern vor sich. Auf einem anderen: Mädchen, die mit ihren Köpfen zusammenliegen an einem Nachmittag, ortlos und namenlos wie ihre Vorlage aus dem Netz. Sie sind da, und sie sind nicht da, wie Marc Brandenburgs Aufkleber, die Teile seines Werks der letzten zehn Jahre zeigen.

Brandenburg hat seine bisher kontraststarken Bleistiftzeichnungen auf transparente Aufkleber gedruckt. Sie kleben wie Schaumblasen zusammen an den Scheiben der Tür und des Schaufensters, man erkennt ihre Motive nur im richtigen Winkel des Lichts. Von weitem sind sie Ornament, von nahem eine persönliche Geschichte. Natürlich ist der Eindruck, jemand hätte sein Jugendzimmer wild beklebt, Absicht.

Eine gemeinsame Geschichte im Berlin der 80er verbindet sowohl die Galeristen als auch die meisten Künstler. Eine Jugend, die mit den Gesten des Punk und der Verzweiflung aufwuchs, mit phosphorisierendem Glück und lichtlosem Tod in einer Mauerstadt. Eine Schule, die sich durch das Figurative auszeichnet, durch die Menschen, die deswegen kühl und verfremdet bleiben, weil ihr Abbild nicht ihr Leben zeigen kann, sondern nur das Lebensgefühl.

Dass Brandenburg seine Porträts von Freunden und seine Stilleben seit ein paar Jahren oft ins Düstere umkehrt wie Fotonegative, hat vielleicht einen ähnlichen Beweggrund wie die wilden und zärtlichen Liebeserklärungen am Ende von „Punch Drunk Love“: „Wenn ich dich ansehe, würde am liebsten dein Gesicht zertrümmern mit einem Vorschlaghammer, so schön bist du!“ – „Und ich möchte auf deinem Gesicht herumkauen und deine Augäpfel auslöffeln und sie den ganzen Tag lutschen.“

„Lebenslänglich 14“, bis 10. 10., Di.– Fr. 12–19 Uhr, Sorauer Straße 4