Der Stabilitätspakt wird weicher

Wie viel Verschuldung ist zu viel? EU-Kommission macht Vorschläge, um die für Deutschland lästige Kreditobergrenze zu entschärfen. Verstoß ist nicht mehr nur in „Rezession“ möglich, sondern auch in „Phasen schwachen Wachstums“

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Mit Spannung war der Reformvorschlag der EU-Kommission erwartet worden, mit dem sie die verfahrene Lage beim Euro-Stabilitätspakt auflösen will. Gestern veröffentlichte der zuständige Kommissar Joaquín Almunia seinen Entwurf. Verschuldete Staaten wie Deutschland bekommen damit mehr Möglichkeiten, den Stabilitätspakt zu umgehen.

Die Kommission war in Zugzwang geraten, weil im November der Finanzministerrat die – wegen der hohen Neuverschuldung eigentlich fälligen – Sanktionen gegen Deutschland abgeblockt hatte. Im Juli hatte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs diese Blockade für nichtig erklärt. Eine grundsätzliche Antwort auf die Frage, ob bei ähnlichen Konflikten der Rat oder die Kommission das letzte Wort haben soll, blieb das Gericht aber schuldig.

Gestern nun traten der zuständige Kommissar Joaquín Almunia und Kommissionschef Romano Prodi vor die Presse, um darzulegen, wie sie den Pakt „stärken und glaubwürdiger machen“ werden.

Die neuen Vorschläge werfen freilich mehr Fragen auf, als sie beantworten. So sollen künftig die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mehr Beachtung finden. Während es dafür bislang ein klares Kriterium gab – eine Rezession war gegeben, wenn die Wirtschaftsleistung im fraglichen Land um zwei Prozent zurück gegangen war – spricht die Kommission nun „von Phasen besonders schwachen Wachstums“. Was darunter zu verstehen ist und wie es den Sanktionsmechanismus des Pakts beeinflussen soll, wird erst in den nächsten Monaten in Verhandlungen mit dem Rat geklärt.

Schon nächste Woche soll sich nach dem Wunsch der neuen niederländischen Präsidentschaft die so genannte Eurogruppe der zwölf Länder, die bereits den Euro eingeführt haben, über das Kommissionspapier beugen. Im November wird dann der gesamte Finanzministerrat aller 25 Mitglieder darüber beraten. Den neuen EU-Mitgliedern dürfte gefallen, dass ihrer schwierigen Lage künftig mehr Rechnung getragen wird. Denn grundsätzlich unterliegen auch diejenigen Länder den Stabilitätskriterien, die den Euro noch gar nicht eingeführt haben.

Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) gab sich gestern sehr zufrieden: „Die Vorschläge sind das Ergebnis einer fast dreijährigen Diskussion, die auch Deutschland angestoßen hat.“ Wie EU-Kommissar Almunias Erläuterungen gestern zeigten, bietet die neue Interpretation für jedes Land das passende Schlupfloch. Er wolle den Gruppendruck verstärken und künftig Frühwarnungen nicht nur bei übermäßiger Neuverschuldung einsetzen. Wenn in einem Land die Gesamtverschuldung bedenklich wachse, wolle Brüssel ebenfalls die gelbe Karte zeigen.

Laut Almunia ist die neue Linie keine Extrawurst, die Deutschen und Franzosen gebraten wird. „Ich habe mit beiden Finanzministern gesprochen. Beide haben zugesagt, den Parlamenten Haushalte vorzulegen, mit denen das Dreiprozentziel erreicht werden kann.“ Die Kommission will künftig darauf drängen, dass in konjunkturell fetten Jahren für die mageren Zeiten vorgesorgt wird.

„Wenn die Mitgliedstaaten 1999 und 2000 weniger verschwenderisch gewesen wären, hätten wir heute die Probleme nicht“, kritisierte Almunia.