: Mao statt Meerjungfrau
Nach 95 Jahren verlässt Kopenhagens Wahrzeichen seinen Felsen und geht auf Reisen. Nach China
Seit dem 23. August 1913 sitzt sie auf einem Felsen am Ufer des Hafens in Kopenhagen. Doch bald wird die 95-Jährige ihre erste Reise machen. Gleich bis nach China. Am Donnerstagabend gab der Stadtrat von Kopenhagen grünes Licht: Die kleine Meerjungfrau soll Dänemark bei der Weltausstellung in Schanghai repräsentieren.
Statt am zugigen Kai der Langelinie darf sie dann im warmen dänischen Pavillon auf der Expo 2010 sitzen. Damit alles so echt wie möglich ist, auf einem ähnlichen Steinblock und in einem Bassin, gefüllt mit einer Million Liter Meerwasser, die aus dem Hafenbassin extra nach China transportiert werden sollen.
Die „lille havfruen“, nur 1,25 Meter groß, aber 175 Kilo schwer, gilt den meisten DänInnen immer noch als Nationalsymbol Nummer eins. Sie ein halbes Jahr ins Ausland ausleihen zu wollen, hatte deshalb zu einer hitzigen Debatte geführt. Doch die Regierung setzte sich durch: Eine bessere Reklame für Dänemark könne es ganz einfach nicht geben. Und schließlich habe sich auch Frankreich schon zeitweise von der Mona Lisa getrennt.
Die Gegenargumente: Brüssel habe auch sein Manneken Pis noch nie ausgeliehen. Und mit der nackten Bronze-Dame sei schon genug angestellt worden. Der Kopf wurde ihr mehrfach abgesägt und die Arme. Fantasievolle Bekleidungsaktionen muss sie ebenso über sich ergehen lassen wie Farbattacken. Es wurde sogar ein Sprengstoffanschlag auf sie verübt. Am 11. September 2003 war nur noch eine Befestigungsschraube auf dem Stein übrig, auf dem sitzend sie in Millionen Fotoalben verewigt sein dürfte. Sie selbst musste aus dem Wasser gefischt werden.
Die Befestigung wird nun das Einzige sein, was TouristInnen zwischen April und Oktober 2010 von der kleinen Meerjungfrau fotografieren können. Dabei gibt es viele Vorschläge, was man ersatzweise aufstellen könnte. Einfach eine Kopie – von denen die Stadt wegen der Vandalismusgefahr gleich einige auf Lager hat? Eine Mao-Statue oder ein paar Meter der chinesischen Mauer? Die für das Ja zur Leihgabe Verantwortlichen nackt und in Bronze oder ein Standbild eines fotografierenden japanischen Touristen? REINHARD WOLFF