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Archiv-Artikel

Banges Warten auf den Fußball-Künstler

Den Berlinern gelingt auch gegen den ebenfalls krisengeschüttelten Hamburger SV nur ein spielerisch dürftiges 1:1

BERLIN taz ■ Der Trainer war der erster Herthaner, der in den Katakomben der großen Dauerbaustelle aufkreuzte. Eilig setzte Huub Stevens seine Schritte, die Lippen hatte er dabei fest verbissen, damit auch ja kein böses Wort darüber rutschen würde. Dem Holländer folgte nicht weniger stechschrittartig Uli Hoeneß. Auch dem Manager war nicht nach Reden zumute, weshalb er den Kopf tief zu Boden gesenkt hatte; wer die Fragesteller von der Presse nicht sieht, kann ihre Fragen nicht beantworten, so einfach ist das – auch Hoeneß verschwand flugs in der Kabine. Dann kam Pál Dardái. Der kleine Ungar hatte in den 90 Minuten zuvor den Kapitän der Berliner geben dürfen – und vielleicht fühlte er sich nun deshalb bemüßigt, Stellung zu beziehen zum Ernst der Berliner Lage. Dardái sagte Sätze wie: „Das tut weh!“ Oder: „Wir müssen weiterarbeiten. Wenn wir weiterarbeiten, schaffen wir auch den ersten Sieg!“ Und schließlich: „Ich glaube, der Trainer macht einen guten Job. Er ist nicht schuld!“

Damit war so ziemlich alles gesagt, sowohl im Speziellen, also über das 1:1, das Hertha wieder nur zustande gebracht hatte gegen den Hamburger SV, als auch über die Tiefe der Hertha-Krise im Allgemeinen. Die geht in nackten Zahlen so: Sieben Spiele, kein Sieg, lächerliche fünf Punkte – das reicht nicht für eine Mannschaft, die sich vor der Saison als einer der Anwärter auf die Meisterschaft gewähnt hatte. Und es taugt nicht zur Krisenbewältigung, dass die Mannschaft gegen die nicht minder sorgengeplagten Hanseaten zumindest eine Halbzeit überlegen war und den Ausgleich erst in der Nachspielzeit hinnehmen musste. Ganz im Gegenteil: Das machte die Chose nur schlimmer, tat noch mehr weh – und verleitete so manchen Berliner obendrein dazu, ein paar Dinge optimistischer zu sehen, als sie in Wirklichkeit waren. Torwächter Kiraly zum Beispiel befand, man habe vor dem 1:1 „richtig gut gespielt“, eine Aussage, für die im Presserecht das Mittel der Gegendarstellung erfunden wurde. Kiralys Aussage ist nämlich falsch. Wahr ist vielmehr, dass die Hamburger in Durchgang eins schlichtweg noch mieser waren als Hertha. Erst als HSV-Coach Kurt Jara, auch durch die Berliner Führung durch Friedrich (33.) genötigt, im zweiten Durchgang die Defensive lockerte, begann der HSV, Fußball im eigentlichen Sinne zu spielen – und Hertha zeitgleich schwächer zu werden. Der Ausgleich, so spät er auch fiel, war nichts mehr als die logische Folge hieraus.

Am Ende war die Enttäuschung darüber so tief, dass es im Betonoval noch nicht einmal mehr für „Steven raus“-Rufe reichte. Im Epizentrum der Kritik steht der Trainer freilich dennoch unvermindert, durch den neuerlichen Gurkenkick ist seine Situation nicht besser geworden. Erschwerend hinzu kommt, dass Stevens langsam, aber sicher die Mittel zur Krisenbewältigung auszugehen scheinen: Er hat es im Leisen versucht und im Lauten, im Guten und im Bösen – und nichts hat richtig gefruchtet. Was den Verdacht nährt, dass die Krise weniger mit momentaner Formschwäche oder mangelndem Einsatzwille zu tun hat als vielmehr mit fehlender Qualität im Kader. Und nichts verstärkt diese Ahnung mehr als die Tatsache, dass Stevens am Sonntag ausgerechnet Zecke Neuendorf als „kreativen Mann“ bezeichnete. Zecke mag nun wirklich alles sein, was ein Fußballer sein kann, kreativ aber ist er nicht. Dass dennoch er der Einzige im Team zu sein scheint, dem Stevens die Vertretung des verletzten Fußballkünstlers Marcelinho zutraut, lässt erahnen, wie es um das fußballerische Potenzial von Hertha bestellt ist. Diese Woche, so hat es Marcelinho angekündigt, will er wieder ins Mannschaftstraining einsteigen, im nächsten Heimspiel, in zwei Wochen gegen Bayer Leverkusen, erstmals wieder mitwirken. Im Moment ist dies die einzige Hoffnung, die Hertha sich machen kann. FRANK KETTERER