: Hartz bleibt Hartz – „Murks bleibt Murks“
Montags: Forum! (2) Niedersachsens Verdi-Chef Wolfgang Denia über den eigentlichen Skandal der Hartz-Gesetze
von Wolfgang Denia
Montags streitet der Norden über die Sozialreform: Gruppen unterschiedlicher Couleur gehen gegen Hartz IV auf die Straße – heute voraussichtlich in Braunschweig, Bremen, Bremerhaven, Celle, Delmenhorst, Flensburg, Göttingen, Goslar, Hamburg,Hameln, Hannover, Heide, Kiel, Neubrandenburg, Oldenburg, Osnabrück, Parchim, Perleberg, Ribnitz-Damgarten, Rostock, Stralsund, Wedel, Wilhelmshaven, Wismar und Wittenberge (einige Termine siehe Info-Kasten). Aber eine Demo ist kein guter Platz fürs Argumentieren. Den stellt die taz Nord bereit: In der Serie Montags: Forum! beziehen Experten und Engagierte Stellung zum Um- oder Abbruch des Sozialstaats. taz
Vom „größten Umbau in der Sozialgeschichte“ spricht Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement, wenn er von der Einführung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) redet. Was er wirklich meint, ist der größte Abbau in der Sozialgeschichte.
Während Medien noch darüber spekulieren, ob es gelingt, Hartz IV zum 1. Januar 2005 einzuführen oder ob sich die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in der Bürokratie verfängt, findet der eigentliche Skandal weitgehend unkommentiert statt: Denn es verändern sich nicht nur die Zumutbarkeitskriterien, sondern auch die Höhe der Leistung. 500.000 Menschen werden ihre Arbeitslosenhilfe ab 1. Januar ganz verlieren. Für weitere 400.000 Arbeitslosenhilfeempfänger wird sich die Leistung erheblich verringern.
Der Protest verschärft sich, je mehr Einzelheiten über die unsoziale Politik bekannt werden, die Regierung und Opposition gemeinsam zu verantworten haben. Die Formel vom „Fördern und Fordern“ empfinden viele angesichts fehlender Arbeitsplätze als Hohn. Unterm Strich bleiben Ein-Euro-Jobs, staatlich subventioniert und alimentiert.
Mit der Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau droht vielen Menschen ein sozialer Abstieg in die Armut. Erwerbslose sind zukünftig gezwungen, jede denkbare Tätigkeit bis zu 30 % unter Tariflohn und damit oftmals unter Sozialhilfeniveau anzunehmen. Damit wird der Druck auf die Tariflöhne stark zunehmen.
Während die Bundesregierung rund 2,5 Milliarden Euro bei den Langzeitarbeitslosen einkassiert, werden gleichzeitig Besserverdienende und Reiche mit 2,5 Milliarden Euro durch die Senkung des Spitzensteuersatzes beschenkt. Nächstes Silvester lassen sie deshalb die Champagnerkorken besonders laut knallen. Der Verzicht auf die geplanten Steuergeschenke für Reiche würde Hartz IV entbehrlich machen.
Ich teile die Wut und Enttäuschung der Demonstranten, die auf die Straße gehen. Existenz- und Zukunftsängste bei Arbeitslosen und Beschäftigten, bei Rentnern, Kranken und Jugendlichen sind die eigentlichen Gründe für die Montagsdemonstrationen.
Wo angebliche Reformen zu ihren Lasten gehen, ist nicht Akzeptanz, sondern Protest die Antwort der Betroffenen. Die rot-grüne Bundesregierung hat – getrieben von CDU-CSU-FDP – zentrale Wahlversprechen gebrochen. Wir Gewerkschafter wollen eine soziale Reformpolitik, die diesen Namen auch verdient.
Verdi begrüßt die Demonstrationen gegen die sozialen Zumutungen von Hartz IV.
Die Massendemonstration von 500.000 Menschen am 3. April in Berlin war eine Initialzündung für viele soziale Bündnisse in den Regionen. Folgerichtig bedarf es deshalb aus meiner Sicht keines weiteren zentralen Aufrufs. Verdi wird sich an den regionalen Protesten beteiligen und in vielen Orten dazu aufzurufen. Denn an den Hartz-Gesetzen gibt es nach wie vor erheblichen Korrekturbedarf. Murks bleibt Murks. Die zentrale gesellschaftliche Herausforderung ist die hohe Arbeitslosigkeit. Hier sind Unternehmer und Politiker in der Pflicht. Angesichts von vier bis sechs Millionen fehlenden Arbeitsplätzen sind alle Forderungen nach einer pauschalen Arbeitszeitverlängerung und nach Lohnkürzungen kontraproduktiv und zynisch.
Verdi hat den Protest gegen die unsozialen Bestandteile von Hartz IV eingebettet in die Kampagne „Für eine soziale Reformpolitik“. Wir haben Alternativen zur Agenda 2010 und wollen, dass die Politik sich endlich ernsthaft damit auseinander setzt. Dazu gehört u. a. die Beibehaltung des Spitzensteuersatzes, die Vermögens- und Erbschaftssteuer, ein besserer Schutz der privaten Altersvorsorge, Löhne, die zum Leben reichen und mehr Förderung der Erwerbslosen.