Mit dem Schlendrian flirten

Das 15. Musikfest Bremen wurde mit einer „großen Nachtmusik“ eröffent. Tausende Besucher und drei taz-AutorInnen stellten aus 21 Konzerten an sieben Spielorten ihre musikalische Tour zusammen

Musikfest I: Beatles-Barock, Himmelfahrtsgesang und Jazz-Klassik

Ah, look at all the lonely people. Wie sie paarweise herumschlendern auf dem Marktplatz, ratlos festlich gekleidet, teuer duftend. Ah, look at all the lonely people. Wie sie gruppenweise zu einem Kaltgetränk zusammenfinden, schöne Sommernachtsminuten ratlos verplaudern. Was Besonderes erwartet man zur Eröffnung des 15. Musikfest Bremen.

Das besondere Konzept dazu lautet: „Eine große Nachtmusik“. 45 Minuten Konzerthappen und 45 Minuten Pause – im Wechsel. Mit Hilfe der Musik soll die Kultur als Ort der gesellschaftlichen Repräsentation, also der flüchtigen Begegnungen, gefeiert werden. Aber schon die Illumination des Openairfoyers, des Marktplatzes, wirkt recht gewöhnlich. Hier einige blaue Lämpchen an den historisch relevanten Gebäuden, dort ein paar grelle Strahler auf die wohlbekannten Fassaden.

All the lonely people, where do they all belong? Das fragen sich viele der Festgesellschaft und suchen Antwort beim Hilliard Ensemble. Auch ohne die weihevoll dahingehauchte Saxofonie-Masche Jan Garbareks, mit der das Vokalquartett bereits im St. Petri Dom zu hören war, klingen die Gesangskünstler mönchisch erhaben.

Als graumelierte Herren in grauen Textilien ermutigen sie zum Augenschließen. Und zum Öffnen der Ohren für das, was den gespitzten, gerundeten, fischmäuligen oder schnabulös geformten Sangesmündern entströmt – und sich zu einem schwebenden Schönklang vermengt: Melodien des 12. bis 16. Jahrhunderts.

Die Welt draußen mit ihren Beleuchtungsbanalitäten wirkt in weite Ferne gerückt. Jenseits aller unverständlichen Worte teilt sich die Musik in ihrer Ruhe und Schönheit ohne Umwege mit. Wo der kirchliche Kultus seine Überzeugungskraft an allerhand Ersatzgurus abtreten musste, kehrt er im Gewand eines Kunstkults unverhohlen zurück. Er ergreift, ja, er berückt die Gemeinde und fährt ihren Puls auf die meditative Langsamkeit herunter. Die musikalische Entschleunigung soll man wohl als unio mystica von göttlichem Klang und menschlichem Sein erfassen.

Die Präzision des Zusammensingens ist frappierend, die Intonation von einer schon unheimlichen Sauberkeit und der Klang zwischen Countertenor, zwei Tenören und Bariton edel ausbalanciert. Auch in der Dramaturgie des Hervor- und Zurücktretens einzelner Stimmen wird genau dosiert. Aber die Hilliards haben eine Neigung zu Halligkeit und Einheitstonfall. Im unendlichen Strom seines Wohlklangs erstarren die Emotionen: Affekte unter Glas.

All the lonely people, where do they all belong? Zu den Beatles. Mit ihnen scheint das Musikfestpublikum aufgewachsen, zu ihnen strömt es hin, wenn „Les Boréades“ in der Oberen Rathaushalle „Eleanor Rigby“ der Fab Four rezitieren: Ah, look at all the lonely people. Zusammen mit weiterem historisch wertvollen Lennon/McCartney-Liedgut wird der Song dann auch intoniert: „Beatles Baroque“ in niedlicher Hippiemanier. Glücksdrogenstrahlend wiegen die elf leidenschaftlich unterforderten MusikerInnen ihre Köpfe manisch hin und her, dehnen die Tempi, bis das Songgerüst ins Schwanken gerät. Popmusik auf Blockflöte, Laute, Cembalo, Viola da Gamba – aber ohne Gespür für die sublime Klangkultur des Barocks und die so sinnlich wie feingeistig augestaltete Melodik. Statt einer Perlenkette funkelnder Tonpartikel – nur ein dünner, exotisierter Klangstrom: künstlerisch überflüssig, aber putzig unterhaltsam.

Im Kontorhaus, spät abends, ein erfrischend unprätentiöser Klassik-goes-Jazz-Versuch von Daniel Schnyder. Er hat in der Schweiz klassische Flöte und in den USA Jazz-Saxophon studiert, so dass ihm die wechselseitige Durchdringung beider Sphären selbstverständlich ist.

Schnyders Pianistin spielt Auszüge aus Werken von Schumann, Grieg oder Bach. Ein Schlagzeug-Bass-Saxofon-Trio nimmt die Motive auf, übersetzt sie in komplex-moderne Akkordstrukturen mit swingender Bop-Phrasierung, durchmengt mit energischer Improvisationslust. For all the lonely people: ein raffiniertes Statement zum Thema E-wird-U-Musik. fis

Infos: www.musikfest-bremen.de