: „Der Volkspalast ist neoliberal“
Jesko Fezer
Sein Urgroßvater war Architekt, sein Großvater auch, natürlich auch sein Vater. Da blieb Jesko Fezer keine andere Wahl: Auch er wurde Architekt. Allerdings geht es dem 34-Jährigen weniger ums tatsächliche Bauen als vielmehr um den sozialen Raum. Die Grundüberzeugung, zu der er während des Studiums an der TU Berlin und der Berliner Architekturdebatte gelangt ist, heißt: Architektur ist eine Schnittstelle zwischen gesellschaftlichen Utopien und Realitäten. Deshalb beschäftigt er sich auch mit dem Thema Zwischennutzung und dem Palast der Republik. Erst ein solches Event, glaubt er, entkleidet den Palast seiner Geschichte und macht ihn zu einem neoliberalen Symbol. Jesko Fezer arbeitet heute als Kritiker, Künstler, Autor und betreibt nebenbei mit zwei Freunden den Buchladen Pro qm in der Alten Schönhauser Straße
INTERVIEW UWE RADA
taz: Herr Fezer, wie oft waren Sie die letzten Wochen im Palast der Republik?
Jesko Fezer: Nur einmal, wir haben unseren Bücherstand wegen McKinsey wieder abbauen müssen. Recht ärgerlich.
Aber jetzt ist der Bücherstand wieder im Palast.
Ja, die Zwischennutzung durch McKinsey ist zu Ende.
Was ist das für ein Gefühl, in diesem Gebäude zu sein?
Wenn man jetzt in den Palast geht, ist der Eindruck stark von der Stimmung der Volkspalast-Zwischennutzung bestimmt. Man empfindet sich als Teil dieser Inszenierung und steht weniger im Palast der Republik oder dem, was davon übrig ist. Als ich nach der Asbestsanierung drin war, war das ein anderes Gefühl, eher räumlich-abstrakt. Und so sauber. Die Stahlskelette waren mit Fett eingeschmiert, damit der letzte Staub noch kleben bleibt.
War das das erste Mal, dass Sie im Palast waren?
Ich war schon vor der Wende da, als Berlinbesucher. Mit meiner Mutter.
Gab es nun einen Wiedererkennungseffekt?
Überhaupt nicht. Das ist ein Neubau. Er ist gereinigt von all dem Ephemeren, was den Palast damals ausgemacht hat.
Gab es keinen Augenblick, wo Sie gedacht haben: Jetzt haben wir es den Abrissfanatikern gezeigt, das ist ein Akt des Widerstands?
Natürlich könnte man die Öffnung des Palastes nach all den Jahren der Debatte um diesen Ort, nach dem Vorpreschen der Schlossbefürworter nun als Sieg verbuchen. Aber Widerstand? Da bräuchte es schon etwas mehr. Eine widerständige Idee von Gesellschaft, oder zumindest von Raumnutzung. Ein zwanghaftes Spektakel, von Tanzkursen bis zur Langen Nacht der Museen, gehört nicht in diese Kategorie.
Hört sich nach Generalabrechnung an.
Es ist sicher verdienstvoll und respektabel, diesen Ort zu bespielen. Aber mit Widerstand hat das nichts zu tun. Ich kann nicht erkennen, wer da gegen was Widerstand leisten sollte. Das Ganze ist ein fetziges Kulturereignis.
Junge Leute ziehen in die übrig gebliebenen Räume der sozialistischen Moderne. Was ist das eigentlich? Nostalgie oder eine neue Subkultur?
Die Baupolitik nach dem Mauerfall hat ja nicht nur die Räume der DDR-Moderne denunziert und ausgegrenzt, sie hat sie auch interessant gemacht für die Gegner dieser Politik. So sind Freiräume entstanden, materielle und ideelle Orte, die auch diskursiv frei besetzbar erschienen. Das waren wichtige Voraussetzungen für das Entstehen einer Subkultur, die ja nicht ohne die Aneignung von Räumen denkbar wäre. Damit wurden diese Räume allerdings auch ihrer geschichtlichen Bedeutung, ihrer politischen und architektonischen Geschichte entleert. Das gilt auch für das Haus des Lehrers. Für die Verwertung als Kongresszentrum war die Zwischennutzung durch Künstler Voraussetzung. Das war eine Art zweiter Reinigungsdurchlauf gegen die als problematisch empfundene DDR-Geschichte. So wird das auch beim Palast der Republik sein.
War das schon immer so? Anfang der Neunzigerjahre gab es ja noch andere Beispiele von Aneignungen von Raum.
Eine Hausbesetzung ist subversiv, weil sie die Konfrontation mit herrschenden Praktiken sucht. Das unterscheidet sie vom zeitgenössischen Konzept der Anschmiegung oder des Wellenreitens. Zwischennutzung ist ja kein kritischer Wert an sich. Das machen auch Firmen. Es geht schon auch um die kulturellen Vorstellungen der Raumnutzung, darum, welche gesellschaftliche Idee damit verbunden ist.
In Leipzig sind die Architekten und Planer weiter, da gibt es konkrete Gegenvorstellungen, da geben Büros wie L 21 mit ihren Konzepten der perforierten Stadt die Stichworte zur Diskussion. Warum geht das in Berlin nicht? Die Stadt war immer eine Vorreiterin in städtebaulichen Fragen.
Ich glaube, es gibt sich gerade keiner der Illusion hin, dass man für diese Stadt eine große Alternative vorlegen könnte. Die vergangenen Jahre haben eher gezeigt, dass die Konzepte von oben verordnet wurden. Die Kräfteverhältnisse waren klar, das wirkt noch nach.
Wie könnte eine solche Initiative aussehen?
Man müsste akzeptieren, dass Berlin keine Mitte hat, auf die man sich fixieren müsste. In Berlin darf sich Architektur und Planung nicht mehr auf die Bildproduktion beschränken, sondern muss sich stärker mit den Realitäten und deren Dynamiken auseinander setzen. Stadt ist ein prozesshaftes Wesen mit Geschichte und Zukunft. Es gibt keinen Idealzustand der europäischen Stadt, den man wieder herstellen könnte.
Herr Fezer, als Sie noch Student der Architektur an der TU Berlin waren, haben Sie sich da vorstellen können, dass Sie später einmal Buchhändler werden würden?
Eigentlich bin ich kein Buchhändler. Was Axel Wieder, Katja Reichard und ich betreiben, ist ein Projekt, eines unter mehreren. Die Arbeit im Buchladen Pro qm nimmt bei uns allen etwa ein Drittel der Woche ein. Das geht auch nicht anders, weil wir genügend Zeit brauchen, uns anderweitig um unseren Broterwerb zu kümmern.
Wie ist es zur Gründung des Buchladens gekommen?
Wir wollten einen neuen kulturellen Raum etablieren. Nach Bars, Off-Galerien und temporären Projekten hatten wir Lust auf einen Buchladen, in dem man sich treffen kann, in dem Veranstaltungen stattfinden, in dem man arbeiten kann.
Linke, heißt es, können nicht rechnen. Rechnet sich Pro qm?
Der Laden trägt sich. Wenn man Gewinne machen will, muss man ihn anders betreiben.
Was hat Sie dazu gebracht, Architektur zu studieren?
Toll an Architektur fand ich, dass sie primär ein Konfliktfeld ist, ein Auseinandersetzungsfeld zwischen künstlerisch-technischen Vorstellungen und gesellschaftlicher Wirklichkeit.
Spielt die Architektur auch im familiären Hintergrund eine Rolle?
Ja, komischerweise. Väterlicherseits.
Das heißt, Ihr Vater war auch Architekt?
Und mein Großvater, und mein Urgroßvater.
Das ist ja fast ein Stück Architekturgeschichte, dass in Ihrer Familie geschrieben wird. Wie erklären Sie sich die Liebe der Fezers zur Architektur?
Eigentlich lehne ich Biologismen ja ab. Aber wahrscheinlich hat es mit dem zu tun, was man als Kind in der Familie mitbekommt – vom Basteln im Büro über den Modellbau zum Zeichnen und zur Perspektive. Auf den Urlaubsreisen habe ich als Kind Häuser und Kirchen mit meinem Vater angeschaut. So wird das einem in die Schuhe geschoben.
Haben Sie sich an Ihrem Vater auch abgearbeitet?
Nicht wirklich. Aber ein großer Unterschied zwischen der heutigen Architekten- und Planergeneration und der der Achtzigerjahre ist ja der, dass wir heute ein kritischeres und selbstreflexiveres Verhältnis zu den Planungsaufgaben haben, die uns gestellt werden. Da war Berlin in den letzten zehn Jahren eine Superschule für uns. Wir haben mitbekommen, wie eng Architektur ans politische Wollen gebunden ist. Und wie tief die ökonomischen Interessen in sie hineinwirken. Dazu kommt aber auch, dass wir heute die Grenzen von Planbarkeit mitbekommen. Gesellschaftliche Entwicklungen sind nicht einfach hochzurechnen. Das war in den Achtzigerjahren noch nicht so.
Was würde denn die nächste Generation Fezer-Architekten denken, planen und bauen?
Ich glaube, dass an den Architekturschulen in Zukunft weniger klassische Architekten ausgebildet werden als Absolventen, die in anderen Bereichen arbeiten – zwangsweise, aber auch im eigenen Interesse: im Bereich Management, Subkultur, Politik, Mediengestaltung, Forschung, Ausstellungsbetrieb. Die Architektur verliert also, mehr noch als bisher, ihre Grenzen. Dem wird dann auch die berufsständische Vertretung Rechnung tragen müssen. Auch Nichtbauen wird zum Anforderungsprofil von Architekten gehören.
Das hört sich sehr optimistisch an. Sie glauben also, die sich verändernde Architektur bleibt eine der Leitdisziplinen in unserer Gesellschaft, eine Wissenschaft, in der sich die Diskussionen um die Zukunft bündeln?
Es ist mit Sicherheit ein privilegiertes Feld. Architektur steht in einer Vermittlerposition zwischen gesellschaftlichen Konzeptionen und alltäglicher Welt. Das macht sie interessant, um Positionen durchzusetzen. Aber sie gibt diese auch der Sichtbarkeit und damit der Kritik preis.
Sie haben unlängst mit der Zeitschrift An-Architektur das Camp für oppositionelle Architektur veranstaltet. Wozu brauchen wir eine solche, was ist das überhaupt, wenn sich in der Diskussion um Architektur ohnehin schon die gesamte Gesellschaft spiegelt?
In Architektur spiegelt sich nur das, was deren Produzenten als möglich erscheint. Oppositionelle Architektur löst sich von der Ökonomie, sie sucht nach der Möglichkeit von Räumen, die außerhalb der Verwertungslogik von Raum stehen. Sie geht davon aus, dass in solchen Räumen andere soziale Praxen möglich sind.
Die Organisatoren der Zwischennutzung im Palast der Republik würden das auch für sich beanspruchen.
Zwischennutzung des Palastes haben aber auch der Bundesverband der Deutschen Industrie und McKinsey betrieben. Die beiden herausragenden Institutionen des neoliberalen Managements nehmen Mythos und Dynamik dieses Raumes für sich in Anspruch.
Hat Sie das überrascht?
Nein. Das hat schließlich einen hohen symbolischen Wert. Zum einen ist es eine Trophäe, die noch mal die Überlegenheit des flotten Kapitalismus gegenüber dem toten Sozialismus demonstrieren soll. Zum anderen ist diese Nutzung eine Botschaft an das Publikum: Aktiv sein, die Sache selbst in die Hand nehmen, Chancen suchen, und nicht auf den Staat warten! Ein geleerter Raum, der bis auf sein Skelett zurückgebaut wurde, führt beispielhaft die grandiosen Möglichkeiten selbstverantwortlicher Privatinitiative vor.
Der Palast der Republik als Metapher des neoliberalen Projekts?
Ja, in dem Sinne, dass an seiner Stelle ein unpolitischer Raum produziert wurde. Es entstand eine ideologische Leerstelle mit einem Aufmerksamkeitspotenzial, das frei verfügbar zu sein scheint. Der Durchlauf durch eine Zwischennutzung ist dafür eine Voraussetzung. So ist der Raum seiner Geschichte entkleidet und frei gemacht worden für eine solche Umdeutung. Auf dieser Ebene unterscheidet sich der Palast nun nicht mehr vom Schlossgespenst. Natürlich wäre ein Schloss aber peinlicher.