: Leuchtturm der Liebe
Der Berliner Performancekünstler Friedrich Liechtenstein hat den Fernsehturm am Alexanderplatz für eine Nacht als das gezeigt, was jeder intelligente Beobachter schon immer in ihm vermutete: als die größte Diskokugel der Stadt
In traditionsbewussten Clubs hängt sie auch heute noch an ihrem angestammten Platz: genau über der Tanzfläche, in der Mitte des Geschehens, wo sie die Sinne mit verheißungsvollen Lichtblitzen verwirrt. Und auch in muffigen Partykellern, alternativen Jugendzentren oder Studentenschlafzimmern voller H&M-Postern muss sie nur mal einer an die Decke hängen und schon weiß jeder: Hier könnte es passieren. Es. Denn die Diskokugel ist so etwas wie das metaphysische Zentrum der Clubkultur. Die größte Diskokugel von Berlin, na ja, hängt zwar nicht, aber schwebt doch immerhin am Alexanderplatz über der Stadt. Denn eigentlich, das dachten eh schon immer alle, sieht der Fernsehturm am Alex ja aus wie eine riesige Diskokugel, durch die jemand eine Nadel gepiekst hat.
Auch Friedrich Liechtenstein hat das schon immer gedacht – und es dann am vergangenen Freitag in die Wirklichkeit umgesetzt. Liechtenstein, der eigentlich Holger Friedrich heißt und mit seinem Vollbart wie ein ernsthafter Herr mittleren Alters aussieht, ist eine dieser Kunstpersonen, die in Berlin so entstehen zwischen Off-Theater und Galerien und Wohnzimmerclubs. Er stammt aus Stalinstadt, das heute Eisenhüttenstadt heißt, und hat sich an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin ausbilden lassen. Dort ist Friedrich/Liechtenstein, 45, dann geblieben, um zwischen Performance- und Schauspielkunst zu oszillieren – etwa, wenn er erschöpfte Großstadtmenschen zum Nickerchen in einen „Schlafsaal“ in den Sophiensälen einlädt, oder wenn er ab und an in Filmen auftaucht, zuletzt im vergangenen Jahr als mürrischer Grenzpolizist in Hans-Christian Schmids „Lichter“.
Im Berliner Nachtleben lernte er irgendwann ein paar junge Menschen kennen, die elektronische Musik produzieren – Hanno Leichtmann zum Beispiel, der unter dem Namen Static melancholische Elektronikmusik unter die Leute bringt. Oder Arnold Kasar, der für das Jazzanova-Label Sonar Kollektiv arbeitet und kürzlich für sein Projekt Nylon deutsche Chansons mit elektronischer Musik unterlegte. Und weil Liechtenstein die Leichtigkeit und den Glamour von Popmusik so mag, hat er sich von diesen Bekannten ein paar Hintergrund-Tracks mit Easy Listening-Disko produzieren lassen, über die er dann kryptische Denglisch-Texte singen konnte. Erschienen ist das kürzlich auf seiner Debüt-LP „Please have a Look from above“. Und live kann man das auf den Bühnen der Hauptstadt immer mal wieder erleben, wenn Liechtenstein seinen cremefarbenen Anzug trägt und dort seine „Hasen Fetisch Pop Trash Revue“ mit Gogo-Girls und silbernen Heliumfrisbees aufführt.
Den cremefarbenen Anzug trägt Liechtenstein auch an dem Abend, als er endlich das Versprechen des Berliner Fernsehturms einlösen will. Auf dem Dach eines fünfstöckigen Gebäudes sagt er „Shake your Body“ und „Baby, Baby“ in ein Mikrofon. Ihm gegenüber in der Nacht schwebt die noch dunkle Kugel, vor ihm auf dem Dach stehen vielleicht 300, 400 Menschen, die sich den lauen Nachtwind durch die Abendgarderobe streichen lassen und warten. Um Punkt 22.02 Uhr stimmt Liechtenstein schließlich sein Lied „Liquid Ballroom“ an, und dann tut er es wirklich: Aus den unteren Fensterreihen der Fernsehturmdiskokugel schießen weiße Blitze über die Stadt, einzeln, in Reihen, ringsum, als reflektierten sie das Licht eines Clubs. „Dance your pain away, dance, dance and go home“, singt Liechtenstein dazu. „In two minutes, this show is over.“
Die Lichter machen die kleine Ansammlung oben auf dem großen Haus zur bemerkenswertesten Disko, die es in diesem Moment in der Stadt gibt. Ein seltsames Gefühl: Tausende von Menschen können den Turm jetzt wohl sehen und wundern sich über sein seltsames Gebaren. Aber nur die 300, 400 Menschen hier oben wissen, was es zu bedeuten hat. „Ein Leuchtturm der Liebe“, brummt Liechtenstein in sein Mikro, als sein Lied zu Ende ist. Dann spielt er noch seinen Hit „Schwarzer Mann“, der vom „Boccia-Platz in Bietikow“ handelt und von „viiiiiel zu lauter Popmusik im Autoradio“. Die Menschen auf dem Dach tanzen weiter. Der Turm hinter ihnen glitzert da schon längst nicht mehr, er blinkt nur noch ein bisschen, damit kein Flugzeug gegen ihn fliegt. Aber für ein paar Minuten in dieser Nacht, da durfte er endlich mal ganz er selbst sein. FLORIAN SIEVERS