: Putins Devise: Aufrüsten
Russlands Präsident kritisiert die Behörden und verspricht ein neues Sicherheitssystem. Einzelheiten erspart er sich
VON BARBARA OERTEL
Einen ganzen langen Tag lang ließ Russlands Präsident Wladimir Putin nach dem desaströsen Ende der Geiselnahme von Beslan verstreichen, bis er sich am Samstagabend in einer Fernsehansprache an die Nation wandte. Er redete fast zehn Minuten, doch er sagte wenig Substanzielles. Immerhin fand er ein paar Worte für die Angehörigen der Opfer, die er bei seinem Kurzbesuch in Beslan am Morgen noch konsequent ignoriert hatte: „Ich wende mich heute mit Unterstützung und Sympathie an all diejenigen, die das Wertvollste in ihrem Leben verloren haben – ihre Kinder.“
Das war’s denn im Wesentlichen an Trauerbekundungen zu einer Zeit, in der immer noch Familien in Leichen- und Krankenhäusern nach ihren Angehörigen suchten. Putin wandte sich umstandslos dem bedauerlichen Verfall der Sowjetunion zu, deren Nachfolgestaat Russland eben mit vielen Veränderungen nicht fertig geworden sei. Dabei gelang ihm das Kunststück, nicht ein einziges Mal Tschetschenien beziehungsweise den Krieg in der Kaukasusrepublik zu erwähnen, der in der Lesart des Kreml ohnehin keiner ist, sondern eine bloße Anti-Terror-Operation. Dann erging sich der Kremlchef in grundsätzlichen Ausführungen über den internationalen Terrorismus, auf den Russland nicht angemessen reagiert habe. „Wir haben Schwäche gezeigt, und der Schwache wird niedergetrampelt.“ Es müsse eine grundsätzlich neue Herangehensweise bei den Sicherheitskräften geben. „Wir müssen verlangen, dass unsere Sicherheitskräfte auf dem gleichen Niveau agieren und der Größenordnung der neuen Bedrohungen entsprechen“, sagte Putin weiter. Diese Art der verklausulierten Kritik an den Sicherheitskräften verwundert nicht. Immerhin sind sie eine wesentliche Stütze Putins im Machtapparat. Gleichzeitig haben sie sich jedoch, zumindest was Tschetschenien angeht, in ihrem Tun weitgehend verselbstständigt. Und man fragt sich, wer hier eigentlich wen kontrolliert.
Nicht zufällig betonte Putin, dass es sich bei den Terroranschlägen der vergangenen Tage nicht um vereinzelte Aktionen, sondern um eine Intervention des internationalen Terrorismus gegen Russland handle. Schließlich ist der Kreml bereits seit Wochen eifrig darum bemüht, Verbindungen zwischen den tschetschenischen Kämpfern und der Gruppierung al-Qaida herzustellen, wobei diese bisher nicht einwandfrei nachgewiesen werden konnten. Putin weiß sich mit solcher Rhetorik einig mit dem Rest der Welt, allen voran dem unermüdlichen Antiterrorkämpfer George W. Bush. Der Verweis auf den internationalen Terrorismus enthebt ihn auch der Notwendigkeit, seinen Landsleuten zu erklären, warum der Tschetschenienkonflikt, mit dessen Instrumentalisierung er sich seinerzeit den Wahlsieg besorgte, noch immer nicht gelöst ist.
Große Bedrohungen erfordern große Aktionen. Und so kündigte Putin Maßnahmen zur Stärkung der Einheit des Staates an. Was das bedeutet, ist seit 1994, dem Beginn des ersten Tschetschenienkrieges, hinlänglich bekannt. Bereits damals war eine der Legitimationen für den Feldzug gegen die Kaukasusrepublik, die verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen und die territoriale Einheit des Landes zu schützen. Im Klartext heißt das: Verstärkung des „Antiterrorkampfs“. Weiter müsse ein neues System geschaffen werden, um die Einsatzkräfte, die den Nordkaukasus kontrollieren, besser zu koordinieren. Zudem gelte es, ein effizientes Krisenmanagement aufzubauen „mit neuen Ansätzen, mit neuen Aktivitäten der Sicherheitskräfte“, um für Sicherheit im Nordkaukasus zu sorgen.
Doch die Hauptsache, so Putin, sei eine Mobilisierung der Nation, die dem Terrorismus in Form einer organisierten, vereinigten Zivilgesellschaft entgegentreten müsse. Menschenrechtler können diese Äußerung nur als Zynismus verstehen: Hat nicht gerade Putin seit seinem Amtsantritt nichts unversucht gelassen, die zarten Regungen einer erwachenden Zivilgesellschaft im Keim zu ersticken?