: Entlarvte Wünsche
Auf der Erotikmesse in Hamburg-Schnelsen wird alles verkauft, was mit Sex zu tun hat. Doch das Entscheidende am Sex kann man mit Geld nicht erwerben. Hier werden die marmorbrüstigen Körper der Frauen und die geheimen Wünsche der Männer vermarktet. Das hat keiner verdient
VON ROGER REPPLINGER
Gegen 22 Uhr am Freitag schlendern über den Parkplatz der Messe Schnelsen drei junge Männer. Sie tragen trotz Kälte Kurzarm und es fallen die Worte „geil“ und „boa“ und „Kopf zwischen den Beinen“. Es könnte sich um Sport handeln, aber es geht um Sex.
In den mit roten Lämpchen geschmückten Hallen der Messe Schnelsen findet die „Erotikmesse“ statt, die mit Erotik weniger als nichts zu tun hat. Der Eintritt kostet 20 Euro, für Paare 30 Euro, und unterliegt dem „strengsten Jugendschutz“, wie ein großes Plakat verrät.
Veranstalter ist eine österreichische Firma, die von Ingenieur F. Liedl vertreten wird. Es wird alles das verkauft, was mit Sex zu tun hat. Das Entscheidende am Sex, wie wir alle wissen, kann für Geld nicht erworben werden. Genau deshalb kann man umso mehr Geld für alles andere ausgeben. Gleich am ersten Stand sitzt ein nacktes Mädchen. Sie ist so nackt, dass man für einen Moment an ein Unglück denkt. Einen Brand, eine Überschwemmung, und nach einer Decke suchen will, um sie ihr um die Schultern zu legen. Doch schon legt ein Mann um die Fünfzig die Hand um ihre Hüfte. Den anderen Arm streckt er aus und fotografiert sie und sich. Nachdem er höflich gefragt hat. Seine Hand an ihrer Hüfte zittert ein wenig.
Wir tun uns und anderen eine Menge an, um etwas zu bekommen, das nicht das ist, was wir suchen. Mädchen auf absurd hochhackigen Stiefeln stöpseln durch die Gänge, an Dessousbergen, Dildos in allen Farben, Materialien, Größen und Formen, vorbei. „Nimm drei!!! Zahl Zwei!!!“ Es gibt Messerabatt. Hier wird behauptet, dass Sex wichtig, vielleicht das Wichtigste überhaupt, und doch billig zu haben ist.
Ein junger, gut gebauter Männer mit nacktem Oberkörper und den Jeans auf den Hüften, so dass man sieht, dass seine Unterhose von Dolce & Gabbana ist, rollt auf Cowboystiefeln vorbei an Porno-Videokassetten, DVDs, CDs. Wer kauft das noch, nachdem wir uns alles auf Youtube holen können?
Stündlich treten auf der Showbühne „Trinity Smith“ und „Hally Thomas“, „Jeny Baby“ und „Tyra Misoux“ auf. Es ist alles auf schmerzhafte Weise berechenbar. Ist irgendwo eine nackte Frauenbrust zu sehen, zücken die Männer ihre Handys und das Blitzlicht gewittert. Nur der erlösende Regen fällt nicht.
Stehen Männer zusammen, kommt ein Mädchen, hebt den Rock und zeigt ihr Intimpiercing. Die Mädchen sind mager, braungebrannt, haben große Augen und ihre Brüste sind hart wie aus Marmor. Alles ist ein bisschen heiß und weich hier, aber das Kalte und Harte überwiegt. Die Jungs, die Rechtshänder sind, haben die linke Hand in der Hosentasche und fotografieren und filmen mit der anderen. Sie halten den Mädchen die Kameras vor die Körper. Es geht nicht um Frauen, Sex und Vögeln. Es geht um die Bilder. Wenn die Männer nicht fotografieren, halten sie eine Bierflasche in der Hand. Damit es unter keinen Umständen der Schwanz ist, den sie in die Hand nehmen.
Neben der Showbühne gibt es das „Moulin Rouge“. Zehn Euro Eintritt extra. Dort laufen die Hardcore-Shows. Man hört Johlen und Pfeifen – aber das könnte auch vom Band kommen. Es scheint, als ob unsere geheimsten Wünsche nun in Erfüllung gehen: Analverkehr, zwei Frauen, Frauen, die Samen schlucken, Sex mit Tieren. Aber der Fluch besteht darin, dass, kaum sind die geheimen Wünsche erfüllt, neue Wünsche entstehen, und die alten sind doch nicht erfüllt.
Die Kunden und Kundinnen, die durch die Gänge laufen, sich an der Hand halten, um den Kontakt zur Wirklichkeit und sich gegenseitig nicht zu verlieren, sind dicker, hässlicher, pickliger, kleiner, größer, als die Wesen auf der Bühne. Die Schwänze der Kunden sind kleiner und die Brüste der Kundinnen nicht aus Marmor. In den Dessous, String-Tangas, Stiefeln und Leder-Overalls würden sie komisch aussehen, aber sie wären wenigstens sie selbst und sie würden es tun, statt anderen dabei zu zugucken.
Der Kapitalismus erobert sich alle Bereiche und diese bis in die letzte Ritze. Sex ist eine Generalwährung, das hat er mit dem Geld gemein. „Schön, dass sie heute Abend zu später Stunde dabei sind“, sagt auf der Showbühne der Ansager, der einen Anzug trägt und deshalb nicht hierher passt. „Verkaufen dürfen wir hier oben nichts“, sagt er und kündigt die sechsfache Porno-Oscar-Preisträgerin Stefani Bruni an.
Die Porno-Welt ist eine Parodie aller anderen Welten. Das gilt für den Satz, dass nichts verkauft wird, wo doch hier auch das Unverkaufbare veräußert wird, und das gilt für eine Frau namens Bruni die sich nicht für einen Präsidenten sondern für uns alle auszieht. Man kann den Eindruck bekommen, dass wir in einer Welt leben, in der sich kaum mehr jemand der Anstrengung des Vögelns unterzieht, nur noch dem Vergnügen, dabei zuzugucken. Und weil wir dabei das, was wir brauchen, nicht bekommen, brauchen wir das, was wir hier kriegen immer wieder und umso verzweifelter. Der Aufwand, der betrieben wird, uns das zu geben, was wir nicht brauchen, aber kriegen können, wird immer größer.
Eine Frau beobachtet ihren Mann, wie er die Frauen der Lesbenshow durch das Auge seines Handys beobachtet. Die Männer sind nicht scharf auf Frauen, sondern darauf, sie per Aufnahme auf Distanz zu halten. Herzoomen, ganz nah und groß, und doch weit weg. Etwa 150 Männer stehen rund um die Bühne, und manchmal sieht man zwischen Hintern, den kahlen Stellen an ihrem Kopf, den Jeans, Stoffhosen, Bäuchen, ein nacktes, langes, dünnes, braunes Frauenbein, wie eine Botschaft aus einer anderen Welt, die so anders nicht ist, sondern passt. Leider.
Die Frauen sind nackt, aber die Männer, die hier erfüllt bekommen, was sie für ihre Wünsche halten, werden ob dieser Wünsche entlarvt. Am Ende sind alle nackt. Die Frauen sind nur das, was die Männer sich wünschen, und die Männer müssen aushalten, dass ihre Wünsche, wenn sie wahr werden, so aussehen.
Wenn das Mädchen auf der Bühne die Beine breit macht, spucken die Handys blaue Blitze. An der Oberfläche sieht es so aus, als würden nur Frauen ausgebeutet. Doch Männer, für die man die Pornowelt einrichtet, verlieren jede Chance auf Glück, weil ihnen nur so viel gegeben wird, dass es weitergeht. Das Leben und das Geschäft mit dem Sex. Hier werden die Körper der Frauen und die Wünsche der Männer vermarktet. Das hat keiner verdient.
Ein Mädchen mit Badelatschen im Bademantel watschelt vorbei. Sieht aus, als sei sie auf dem Weg zur Sauna. Aber dann zeigt sie ihre Brüste und zehn Männer rennen los, um sie zu fotografieren. Das Mädchen lacht, weil es so leicht ist die Männer auf die Beine zu bringen, und nach Konditionierung aussieht, Dressur. Hier sind alle dressiert. Sie auch.
Ein Mädchen mit fast nichts an bestellt im Restaurant Bratkartoffeln, ein Junge mit fast nix an bestellt Schnitzel mit Pommes. Kurz nach Mitternacht haben sie Feierabend. So nackt, wie sie sind, können sie sich auch beim Essen nicht bewegen, ohne noch ein bisschen nackter zu werden.
Auf der großen Showbühne läuft inzwischen andere Musik und andere nackte Mädchen tanzen und räkeln sich, andere angezogene Jungs stehen davor. Aber es sind die gleichen Kameras. Es ist halb eins. Wir gehen besser.