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Archiv-Artikel

Die Barrieren sind gefallen

Im Gefolge der schlagkräftigen Schwestern Serena und Venus Williams erobern immer mehr schwarze Tennisspielerinnen und -spieler die einstmals so weiße Domäne des Tennissports

AUS NEW YORK DORIS HENKEL

Wenn es um große Worte geht, macht den Amerikanern keiner was vor. Dienstagabend vor Beginn der Spiele der Night Session wird der US-Tennisverband (Usta) mit einer Zeremonie auf dem Center Court an das Vermächtnis der großen Althea Gibson erinnern, der ersten schwarzen Grand-Slam-Siegerin der Geschichte des Tennis, Gewinnerin 1956 in Paris, 1957 und 1958 in Wimbledon und New York. Althea Gibson, „die afroamerikanische Mutter des amerikanischen Tennis“, wie sich die Usta auszudrücken beliebt, ist vor knapp einem Jahr mit 76 Jahren gestorben, nach einem wechselvollen Leben mit mehr Schatten als Licht.

Eine Zeremonie kann eine leichte, leere Hülse sein, aber es gibt Nachrichten mit Gewicht, die der alten Dame vielleicht mehr bedeutet hätten. Dass endlich, fast ein halbes Jahrhundert nach ihren Erfolgen, eine Entwicklung zu erkennen ist, bei der schwarze Spieler und Spielerinnen in immer größerer Zahl eine Rolle spielen im einstmals so weißen Sport.

Das gilt für acht der 25 US-Spielerinnen im Hauptfeld der Open 2004, mithin für fast ein Drittel. Dass der Effekt bei den jungen Frauen derzeit noch größer ist als bei den Männern, hat ohne Zweifel mit der Lebensgeschichte, den Erfolgen und der schillernden Persönlichkeit von Venus und Serena Williams zu tun. Deren Weg aus Compton, einem der wildesten und gefährlichsten Stadtteile von Los Angeles, über den Sport zu Glanz und Gloria hat Mädchen aller Altersklassen inspiriert. Angela Haynes (19), auf dem Platz und auch außerhalb eine ebenso coole wie vielversprechende Erscheinung, hat zwar mit Venus und Serena keine Bälle geschlagen, obwohl auch sie aus Compton stammt, aber ihre älteren Geschwister haben es getan, und der Eindruck reichte für alle. „Venus und Serena haben die Fenster für viele Leute geöffnet“, sagt Haynes. „Für Leute, die denken, wir haben die Chance dasselbe zu tun, was die beiden auch getan haben.“

Vor zwanzig Jahren, als Zina Garrison und deren Freundin Lori McNeil sich vorsichtig der Welt des weißen Sports näherten, waren die Verhältnisse längst noch nicht so. Keine Chance auf Werbeverträge, ein Ding der Normalität bei weißen Spielerinnen ihrer Klasse, Vorbehalte, keine offene Ablehnung, aber manchmal Getuschel hinter vorgehaltener Hand. Für Chanda Rubin, Tochter eines Richters und einer Lehrerin aus Louisiana, war es ein paar Jahre später schon ein wenig leichter, aber so richtig in Gang gekommen ist die Entwicklung mit der Familie Williams. So wie Tiger Woods die Enklave Golf geöffnet hat, haben Serena und Venus Barrieren des Tennis aus dem Weg geräumt.

Beim Männerturnier gab Scoville Jenkins (17) aus Atlanta sein Debüt. Aus nahe liegenden Gründen orientiert auch er sich lieber an den Schwestern als an Arthur Ashe, der 1975 in Wimbledon als erster und bisher einziger Afroamerikaner einen Grand-Slam-Titel gewonnen hat. Nach Ashe, der sich bei einer Bluttransfusion mit dem HI-Virus infiziert hatte und 1993 starb, ist der riesige Centre Court des National Tennis Centers mit seinen 23.000 Plätzen benannt. Aber die Chancen stehen nicht schlecht, dass Ashe in absehbarer Zeit Nachfolger finden wird. „Fünf unserer besten zehn Junioren sind schwarz“, wird der Direktor für Männertennis in der Usta und frühere Direktor für multikulturelle Entwicklung, Rodney Harmon, in einer Geschichte des Magazins Sports Illustrated zitiert. „Und wirklich aufregend ist, dass sie verteilt sind auf die Altersklassen zwischen 14 und 18 Jahren.“

Tennis hat für diese Teenager an Statur gewonnen und hat das Angebot der in den USA so unschlagbar populären Sparten Football, Basketball und Baseball bereichert. Wenn Richard Williams auch dafür verantwortlich ist, weil er mit seinen beiden Jüngsten tatsächlich den lange Zeit belächelten Plan wahr machte, sie zur Nummer eins zu führen und die Welt des Tennis zu erobern, dann sollte man dem Big Boss der Familie vielleicht auch ein Stadion widmen.