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Archiv-Artikel

Wider den romantischen Werkbegriff

Schauspiel als Serie und im Doppelpack: Armin Petras probt in Frankfurt einen neuen Blick auf Theaterklassiker

Schau über die linke Schulter und wünsch dir was. Was? Glück natürlich. Ein bisschen Glück für Tom, der immer ins Kino geht, weil er das Leben, das er lebt, nicht mag. Ein bisschen Glück für Amanda, die Mutter, die ihre Familie zusammenhalten will und sie dabei bedrängt, einengt, erdrückt. In bisschen Glück vor allem für Laura, die schüchterne Tochter, die noch nie einen Freund hatte und kaum einmal aus dem Haus sich traut.

In Tennessee Williams’ ziemlich angestaubtem Familiendrama „Glasmenagerie“ von 1944 hat Laura nur ein kleines Hinken und einen großen Minderwertigkeitskomplex. In Armin Petras’ Inszenierung in der neuen Spielstätte „Schmidtstraße“ des Schauspiels Frankfurt zeigt Hilke Altefrohne sie grenzdebil, dickbebrillt, bewegungsgestört – und zugleich so bescheiden in ihrer Einsamkeit, dass man ihr alles Glück der Welt gönnt. Schau über die linke Schulter und wünsch dir was.

Die „Glasmenagerie“ kommt nicht allein, sie wird gefolgt von Sarah Kanes „Zerbombt“: Das Double-Feature-Prinzip gehört wie das Einheitsbühnenbild einer Einzimmerwohnung (Susanne Schuboth) und immer ähnlichen Besetzungen zum Konzept der neuen, etwas in der Pampa gelegenen Spielstätte des Schauspiels. Ein bisschen am Berliner Prater orientiert, soll hier eine andere Theateratmosphäre gepflegt und wohl auch ein anderes Publikum gewonnen werden. Für den Regisseur Armin Petras jedenfalls, Leiter der Schmidtstraße, ist die Idee des Doppelpacks – eine Woche zuvor hat er bereits mit Lessings „Minna von Barnhelm“ und Godards „Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß“ Premiere – ideal. Weniger um so ungewöhnliche Bezüge herzustellen, als eine Serialität, die romantische Werkvorstellungen für jeden sichtbar und verständlich aus den Angeln hebt.

Doch im Stückvergleich geschieht etwas Unerwartetes: Die alte „Glasmenagerie“ wirkt in ihrer Behutsamkeit plötzlich stärker als die Drastik Sarah Kanes. Petras hat die „Glasmenagerie“ gestrafft, ansonsten aber, anders als man es von ihm erwartet, ziemlich bei sich gelassen. Der Plot wird brav entwickelt, die Figuren hübsch überzeichnet: Tom (Andreas Leupold), der alternde Sohn mit Glatzenansatz, die Mutter, die schon bessere Tage gesehen hat, aber wacker als Frohnatur jede Niederlage wegsteckt (Susanne Böwe) – doch so recht in Schwung kommen will der Abend nicht, die Spieler tragen ihre Marotten vor sich her wie Puppen.

Einzig Hilke Altefrohne zieht ihre Rolle mitsamt allen Petras’schen Manierismen so an sich heran, dass sie ganz zu ihr gehören, ihre überproportionierten und entgleisten Bewegungen, ihre überdrehte Schüchternheit. Und als sie später mit Jim, einem Kollegen ihres Bruders, zusammensitzt und ein Glas Wein nach dem anderen in sich hineinkippt, während er (Oliver Kraushaar) charmant und einfühlsam genau die richtigen Dinge zu ihr sagt, läuft alles, alles auf diese Szene hinaus und endet in ihr. Und wenn Laura von ihrem Glasfigurenhobby spricht (eine der unbeholfensten Annäherungen, seit es Briefmarkensammlungen gibt), dann ist das unangenehm, berührend, schmerzlich, peinlich und schön in einem.

Eine Szene, nein, vor allem Hilke Altefrohne, die eine ganze Inszenierung retten kann; die flauen Anfangsbilder wirken rückblickend plötzlich wie notwendig zum Aufbau einer Fallhöhe.

Daran gemessen scheint es, als ob Petras vor Sarah Kanes „Zerbombt“ laut klappernd seine Waffen streckt: Gründlich misslingt ihm der zweite Teil des Abends. Die gleiche Besetzung, der Einheitsbühnenraum diesmal doch verändert zur dunklen Kammer. Kanes präzisbrutales Kriegsstück machte die junge Autorin 1995 mit einem Schlag berühmt, seine explizite Gewalt ist auf der Bühne naturalistisch kaum darstellbar, und gleichzeitig weist die Handlung über jeden Naturalismus ohnehin hinaus.

Ausgerechnet hier aber versucht Petras, allen schrägen Einfällen zum Trotz, eine zutiefst konventionelle, brav dem Text folgende, ja ihn eindeutig bebildernde Inszenierung. Nach einem schönen Anfang, der die beiden Hauptdarsteller (Oliver Kraushaar und Hilke Altefrohne als ungleiches Paar) wie in einen Stegreif-Sketch in das Stück stolpern lässt, verliert die Inszenierung jeden Mut und tut nur noch mutig: mit jeder Menge Flüssigkeiten, Butter, Mehl, Wasser. Das viele Geglitsche verhindert folgerichtig jeden Zugriff, so wacker sich die Schauspieler auch auf den Beinen halten mögen.

In der Glasmenagerie waren die dunklen Vorzeichen dezenter. Schau über die linke Schulter und wünsch dir Glück, rät die Mutter. Und Laura nickt und schaut über die rechte Schulter in den Mond. FLORIAN MALZACHER

Schauspiel Frankfurt, Spielstätte Schmidtstraße, 5., 17., 23., 31. Oktober 20.15 bzw. 22 Uhr